Photo: Klaus Pagel from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die Vorschläge des britischen Premiers David Cameron zur Reform der Europäischen Union sind ambitioniert, nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich. Zeitlich deshalb, weil er bereits in den ersten Monaten des kommenden Jahres Ergebnisse präsentieren muss, damit er möglichst noch 2016 die Wähler über den Verbleib Großbritanniens in der EU abstimmen lassen kann. Zwar hätte er Zeit bis Ende 2017, jedoch wollen die Briten vor der wichtigen Präsidentschaftswahl in Frankreich und vor der Bundestagswahl in Deutschland zu Potte kommen.

Schon deshalb ist zu befürchten, dass der große Wurf bei den Verhandlungen ausbleibt. Das wäre sehr schade. Ein großer Wurf täte der EU eigentlich sehr gut. Ihre Krise ist nicht in erster Linie eine Flüchtlings- oder Euroschulden-Krise, sondern das Fehlen eines Ordnungsrahmens. Es ist die brüchige Architektur, die das Haus Europa ins Wanken bringt.

Die Europäische Union ist wie ein Mehrfamilienhaus. Das Fundament des Hauses ist eigentlich ganz solide und stabil. Dieses Fundament sind die Grundfreiheiten der Römischen Verträge: Freier Waren- und Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr und die Personenfreizügigkeit. In diesem Mehrfamilienhaus gibt es viele Wohnungen, kleine und große. Was die Eigentümer der Wohnungen nicht alleine erledigen können, wird gemeinschaftlich gemacht. Gemeinsam finanziert man daher eine Hausverwaltung.

Seit dem Bau des Mehrfamilienhauses ist es mehrfach umgebaut und erweitert worden. Neue Eigentümer sind eingezogen und die Hausverwaltung, die ursprünglich nur in einem kleinen Zimmer im Dachgeschoss untergebracht war, hat inzwischen mehrere Etagen in Besitz genommen. Vor einigen Jahren klopfte der Eigentümer einer kleineren Wohnung auf der Südseite an die Tür und bat um Hilfe, da er die Kreditzinsen für die Eigentumswohnung nicht mehr bezahlen konnte. Die übrigen Mieter steckten die Köpfe zusammen und beschlossen, ihm solidarisch zu helfen. Immerhin wohnt man ja im selben Haus. Doch nachdem dem einen geholfen wurde, kamen weitere und baten um Hilfe. Irgendwann hatten 15 der 28 Eigentümer das gleiche Problem oder befürchteten, dass sie bald in die gleiche Situation kämen und beschlossen mehrheitlich, dass die verbliebenen 13 die Kreditzinsen aller zu bezahlen hätten. So ähnlich ist die Situation in der Eigentümergemeinschaft der Europäischen Union. Die Eigentümer sind in unserem Beispiel die Mitgliedsstaaten und die Hausverwaltung die EU-Kommission.

Jetzt kommt der Wohnungseigentümer, der im westlichen Pavillon lebt, auf die Idee, dass er nicht mehr zu den 13 Zahlern gehören will, der die 15 anderen finanziert. Er droht mit Auszug und befragt seine Familienmitglieder. Der Gruppe der 15 ist es egal, ob der Exot im Pavillon auszieht oder nicht. Sie hoffen darauf dass die verbleibenden 12 Finanzierer den Wert der Wohngemeinschaft höher einschätzen als deren Verfall. Der Bewohner des Pavillons war eh derjenige, der am wenigsten solidarisch war. Er wollte immer eine Extrawurst. Soll er doch gehen und schauen, was er davon hat.

So ist die Situation Großbritanniens in der EU. Man ist Nettozahler, aber ungeliebt, weil man sich immer wieder Sonderrechte herausnimmt, sei es die Einschränkung der Personenfreizügigkeit, den Britenrabatt oder die Euro-Abstinenz. Berühmt ist deshalb der Satz der legendären britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die 1984 in Richtung Brüssel rief: „I want my money back“, als es um die Finanzierung des EU-Subventionen für die europäische Landwirtschaft ging. Die Eiserne Lady sah nicht ein, das der britische Steuerzahler für die großzügigen „Eigentumswohnungen“ der anderen in Europa bezahlen sollte. Sie hat damit viel mehr als andere den Geist der Römischen Verträge durchdrungen. Die Grundfreiheiten der Römischen Verträge sind gerade nicht das Einfallstor für Umverteilung und Subventionen, sondern basieren auf individuelle Entscheidungen von Einzelnen, die mal richtig liegen und mal falsch. Doch Entscheidungen werden individuell verantwortet und nicht, kollektiviert, sobald Probleme auftauchen.

Deshalb ist das kurze Zeitfenster bis zum Referendum der Briten eine historische Chance, die Architektur der EU neu aufzusetzen. Das Prometheus-Institut hat dazu vor einer Woche in der FAZ Vorschläge für ein konföderales Europa gemacht. Wir wollen damit eine grundsätzliche Diskussion in ganz Europa beginnen, die über das Jetzt hinausgeht. Diese Vorschläge bauen auf der großen Tradition liberaler Denker in Europa auf. Bereits 1993 haben liberale Think Tanks und Wissenschaftler aus ganz Europa institutionelle Reformvorschläge in der European Constitutional Group gemacht, die auch mehr als 20 Jahre später ihre Richtigkeit nicht verloren haben.

Der eine oder andere wird meinen, dass das doch zu abstrakt sei, dass uns aktuell doch ganz andere Probleme bewegen. Wer das meint, verkennt, dass die derzeitigen Probleme bei der gemeinsamen Währung oder im Schengen Raum ihre Ursachen im falschen oder unzureichenden Ordnungsrahmen haben. Wenn wir das Haus Europa auch auf die Zukunft hin zu einem belastbaren Bau machen wollen, müssen wir es grundsanieren und können uns nicht damit abfinden, kleine Renovierungsarbeiten vorzunehmen.

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