Photo: Lane Pearman from Flickr (CC BY 2.0)

Bei der Wahl in den USA wurde nicht nur eine schillernde und offenbar für viele auch faszinierende Person gewählt. Es war auch eine Abstimmung gegen die Globalisierung, die die Zeit seit dem Ende des Sowjet-Imperiums wesentlich geprägt hat. Sie ist in akuter Gefahr.

„It’s the economy, stupid“

Die Nachwahlbefragungen der New York Times sind sehr aufschlussreich. Der in progressiveren Kreisen oft geäußerte Vorwurf des Rassismus scheint bei den Betroffenen nicht zu verfangen: Bei allen nicht-weißen Wählergruppen hat Trump gegenüber dem republikanischen Kandidaten von 2012, Mitt Romney, hinzugewonnen, gerade auch unter Hispanics. Ein anderer Faktor scheint wesentlich stärker gewirkt zu haben. Er konnte offenbar weit in die traditionelle Unterstützergruppe der eher sozialdemokratischen Demokraten hinein Stimmen gewinnen. Unter den Wählern mit geringeren Bildungsabschlüssen schnitt er im Vergleich zur letzten Wahl deutlich besser ab. Massive Zugewinne gab es bei denen, die weniger als 30.000 $ im Jahr verdienen und immer noch erhebliche bei denen, die weniger als 50.000 $ verdienen.

Dass für viele Wähler das Thema Immigration eine große Rolle gespielt hat, muss nicht unbedingt ein Hinweis auf Rassismus sein, sondern hängt gewiss auch wesentlich mit dem hart umkämpften Arbeitsmarkt, gerade im Niedriglohnsektor zusammen. 78 % der Wähler, die ihre finanzielle Situation als verschlechtert empfinden, haben für Trump gestimmt. Die Wähler, die glauben, dass der Handel mit anderen Ländern amerikanische jobs vernichten, haben zu 65 % für Trump gestimmt. Der amerikanische Ökonom Donald Boudreaux hat auf seinem Blog darauf hingewiesen, dass ein ausschlaggebender Faktor für die Wahl Trumps die, gerade auch von Linken oft bediente, Erzählung ist, dass es für den Mittelstand seit den 70er Jahren kein Wachstum mehr gegeben habe. (Vielleicht ist der Dauer-Vorwurf des Rassismus auch dem unbewussten Schuldgefühl mancher Progressiver und Linker entsprungen, durch ihren Alarmismus dieses Ergebnis mitverursacht zu haben.)

„Wir glauben an das Gute, das Regierungen tun können.“

Ein ähnliches Phänomen konnten wir bereits bei der Abstimmung zum Brexit gewärtigen. In den dortigen Nachwahlbefragungen wurde unter anderem nachgefragt, wie die Wähler zu bestimmten Themen stehen. Obwohl das Leave-Lager von den traditionell marktwirtschaftlicher ausgerichteten Tories dominiert wurde, haben 69 % derjenigen, die die Globalisierung für eine gefährliche Entwicklung halten, für den Brexit gestimmt. Einen deutlichen Widerhall fand diese Tendenz in der Rede der neuen britischen Premierministerin Theresa May beim Parteitag der Konservativen. Diese Rede war ein fast schon flammender Appell für das Primat der Politik und das, was Angelsachsen als „big government“ bezeichnen. Ihre Botschaft gleicht der von Trump bis in die Formulierungen:

„Wenn wir Ungerechtigkeit korrigieren und die Regierung in den Dienst der einfachen Arbeiter stellen, können wir ein neues gemeinschaftliches Großbritannien aufbauen. … Unser Programm sieht die Regierung in der Pflicht, eine Wirtschaft aufzubauen, die für jeden arbeitet. Eine Wirtschaft, die einen öffentlichen Dienst unterstützt, auf den wir uns alle verlassen können, und die in Dinge investiert, die uns allen lieb und teuer sind. Wie etwa den NHS: eines der besten Gesundheitssysteme weltweit. … Lasst uns die Gelegenheit ergreifen, um zu beweisen, dass wir – die Konservative Partei – wahrhaft die Partei der Arbeiter, der Beamten und des NHS sind. Denn wir glauben an den öffentlichen Dienst. Wir glauben daran, in Institutionen zu investieren, die unser Land großmachen. Wir glauben an das Gute, das Regierungen tun können.“

Alte Modelle aus der Mottenkiste

Innerhalb kürzester Zeit sind in Großbritannien und den USA, also zwei Leuchttürmen liberaler Gesellschaften und freier Märkte, die liberalen Kräfte in sich zusammengefallen. Politiker wie David Cameron und George Osborne, wie Paul Ryan, Marco Rubio und leider auch Rand Paul, wurden entweder abserviert oder sind massiv in der Defensive. Stattdessen werden alte Modelle wieder aus der Mottenkiste geholt: Theresa May inszeniert sich als Wiedergängerin ihres Vorgängers Clement Attlee, der nach dem 2. Weltkrieg den NHS einführte und Teile der Industrie verstaatlichte – nicht wie Margaret Thatcher, die das alles wieder aufräumen musste. Und das allererste Versprechen, das Donald Trump nach seiner Wahl machte, lautete: „Wir werden unsere Innenstädte, Highways, Brücken, Tunnel, Flughäfen, Schulen und Krankenhäuser wiederaufbauen. Wir werden die Infrastruktur erneuern … Und wir werden dadurch für Millionen Menschen Arbeitsplätze schaffen.“ – Das ist Franklin D. Roosevelts „New Deal“ neuaufgelegt. Dafür spricht auch sein Zugeständnis, Obamacare nun doch nicht abzuschaffen.

Natürlich war Immigration beim Brexit und den US-Wahlen ein Thema. Natürlich sind viele von Trumps Sprüchen rassistisch und einige der von der neuen britischen Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen offen fremdenfeindlich wie etwa, dass Unternehmen angeben müssen sollen, wie viele ausländische Angestellte sie beschäftigen. Doch bloße Empörung über Rechtspopulismus führt höchstens zu einer noch stärkeren Verhärtung der Fronten. Die Offene Gesellschaft ist in Gefahr, weil sie das Ergebnis der Globalisierung ist. Rassismus ist oft nur eine Ausdrucksform der zugrundeliegenden Ängste vor den Herausforderungen einer freien Marktwirtschaft. Wer etwas gegen diese Formen des Rechtspopulismus tun will, sollte nicht die Interventionsspirale gegenseitiger Vorwürfe (political correctness vs. Rassismus, Homophobie etc.) bedienen, sondern – wie einst der große britische Freihandels-Kämpfer Richard Cobden – die Vorzüge der Globalisierung verdeutlichen.

Steht die Republikanische Partei vor einem fundamentalen Wandel?

Die 180-Grad-Wende der Tories werden wahrscheinlich auch die Republikaner erfahren. Denn die Wahl Trumps war – wie der Brexit – auch ein deutliches Signal gegen Globalisierung. Republikanische Politiker haben erfahren müssen, dass sich mit Protektionismus und ökonomischem Interventionismus, wie sie Trump offen ins Schaufenster gestellt hat, Wahlen gewinnen lassen. Von einigen wenigen Überzeugungstätern abgesehen, wird das die meisten entscheidend in ihren Politikentscheidungen beeinflussen. Trumps Wahl könnte sich als letzter Todesstoß für den marktfreundlichen Teil der Tea Party Bewegung herausstellen. Stephen Davies, einer der führenden Köpfe beim Institute of Economic Affairs in London liefert einen interessanten Ausblick:

„Die langfristigen und strukturellen Veränderungen, die mit Trumps Sieg einhergehen werden, sind schlimm. …Er wird die Republikanische Partei in eine Partei des Nationalismus, des wirtschaftlichen Dirigismus, der Anti-Globalisierung und der Identitäts-Politik verwandeln. Es wird bizarr sein, zu beobachten, wie viele republikanische Politiker plötzlich entdecken, dass die Prinzipien, die sie viele Jahre lang unterstützt haben, jetzt Schnee von gestern sind … Viele Republikaner werden plötzlich einen Gesinnungswandel durchleben. Andere werden ersetzt werden und manche werden gehen oder ausscheiden.“ Schließlich zitiert er die Reaktion von Pat Buchanan, seit Jahrzehnten die prominenteste Stimme des reaktionären Flügels der Republikaner, auf die Wahl Trumps: „Die Globalisierung ist am Ende. Die Zukunft gehört dem Ethno-Nationalismus und dem wirtschaftlichen Nationalismus.“

Linke Vorarbeit für rechte Politiker

Attac, Campact, Occupy, Thomas Piketty, Bernie Sanders, Jeremy Corbyn und Sarah Wagenknecht haben mit ihren dauernden Tiraden gegen die Globalisierung und der Panikmache beim Thema Ungleichheit einen (hier passt das Modewort ausnahmsweise einmal sehr gut:) postfaktischen Diskursstil gesät und wir ernten nun Politiker wie Trump. Die heutige Situation erinnert an die große Krise des Liberalismus und der Globalisierung ab dem Ersten Weltkrieg. Überall gerät er in die Defensive: mal von ganz offen rechten Kräften wie Kaczynski, Orban oder Le Pen, mal von solchen, die in staatsmännischem Gewande daherkommen wie Theresa May oder Donald Trump. Flankiert wird diese Bewegung von autoritären Kräften wie Erdogan, Duterte oder Putin. Die Handelskriege, die aus dem wachsenden Protektionismus zu erwachsen drohen, können die Weltwirtschaft in eine noch viel dramatischere Lage bringen als der Lehman Crash. Die Folge wird der weitere Aufstieg von Anti-Globalisierungs-Bewegungen sein, weil die Folgen dieses Protektionismus der Globalisierung zugeschrieben werden – dank der intensiven Pflege dieses Narrativs durch Linke in den letzten Jahrzehnten.

Es wird gewaltiger Kraftanstrengungen und vieler Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bedürfen, um die gerade einsetzende Trendwende wieder umzukehren und die Globalisierung mit all ihren positiven Auswirkungen wieder aufs Gleis zu stellen. Aber so mühsam diese Perspektive erscheint, so gibt es doch Hoffnung. Den libertären Präsidentschaftskandidaten Gary Johnson, der seinen Stimmenanteil im Vergleich zur letzten Wahl auf mehr als 4 Millionen Stimmen vervierfacht hat, haben 6 % der Wähler zwischen 18 und 24, 4 % der Wähler zwischen 25 und 29 sowie 5 % der Wähler zwischen 30 und 39 gewählt. Das korrespondiert mit der Zustimmung, die das libertäre Urgestein Ron Paul bei der Wahl 2012 im Vorwahlkampf vor allem unter jungen Wählern genoss.

Hoffnungsschimmer am Horizont

Es gibt inzwischen auf der ganzen Welt eine breite, wenn auch noch kleine, so doch schon sehr schlagkräftige Bewegung, die sich der Globalisierung und der damit einhergehenden Offenen Gesellschaft verschrieben hat. Der Frontalangriff auf die Globalisierung trifft ihre Verteidiger mithin nicht völlig unvorbereitet, auch wenn es die nächste Zeit noch sehr ungemütlich werden kann. Es mögen sich noch ganz neue ungewöhnliche Allianzen auftun. Wenn etwa die Tories in Großbritannien und die Republikaner in den USA sich tatsächlich auf den Weg zur interventionistischen und protektionistischen Knechtschaft machen, mag manch ein schmerzhafter Abschied bevorstehen.

Doch für den, der bereit ist umzudenken, tun sich auch ganz neue Möglichkeiten auf. Gerade in der jungen Generation sind viele sehr kosmopolitisch aufgewachsen – und in Zeiten weltweiter Kommunikation ist dieser Kosmopolitismus auch nicht mehr nur ein „Privileg“ der besser gebildeten und Reichen. Vielleicht gelingt, was Stephen Davies hoffnungsvoll als mögliche Perspektive beschreibt, wenn er sich eine Partei vorstellt, die „im breiten Sinne liberal ist, sich vehement für Freihandel einsetzt, internationalistisch und kosmopolitisch ist, um Gleichheit besorgt und doch wesentlich weniger begeistert von staatlicher Gewalt und dem Versuch, Ungleichheit durch Interventionen zu beseitigen.“

Eine Mahnung aus dem Jahr 1949

Es gibt Organisationen wie die Students for Liberty, es gibt Politiker-Nachwuchs wie Daniel Hannan in Großbritannien oder Justin Amash und Thomas Massie in den USA und es gibt weltweit, quer durch die Lager und Parteien hindurch, Menschen, denen an Freihandel, Marktwirtschaft und einer Offenen Gesellschaft gelegen ist. All diese Leute müssen jetzt ihren Mut und ihre Geduld zusammennehmen und dem Rat Friedrich August von Hayeks folgen, der 1949, in einer ähnlich düsteren Zeit, schrieb:

„Wir müssen ein neues liberales Programm anbieten, das sich an die Vorstellungskraft wendet. Wir müssen den Aufbau einer freien Gesellschaft wieder zu einem intellektuellen Abenteuer machen, zu einem Akt des Mutes. Was uns fehlt, ist eine liberale Utopie, ein Programm, das weder eine bloße Verteidigung bestehender Verhältnisse ist noch ein verwässerter Sozialismus, sondern ein wirklich liberaler Radikalismus, der die Mächtigen nicht schont, der nicht allzu pragmatisch ist, und der sich nicht auf das beschränkt, was heute politisch durchsetzbar erscheint. Wir brauchen intellektuelle Führungspersönlichkeiten, die bereit sind, sich für ein Ideal einzusetzen, mögen die Aussichten auf ihre baldige Umsetzung auch noch so gering sein. Es müssen Menschen sein, die bereit sind, an ihren Prinzipien festzuhalten und für deren volle Verwirklichung zu kämpfen, mag der Weg auch noch so lang erscheinen.

Die Aussichten für die Freiheit sind in der Tat dunkel, wenn es uns nicht gelingt, die philosophischen Begründungen einer freien Gesellschaft wieder in den intellektuellen Diskurs einzubringen; wenn es uns nicht gelingt, die Einrichtung einer freien Gesellschaft zu einer Aufgabe zu machen, die die Genialität und Vorstellungskraft unserer fähigsten Köpfe herausfordert. Wenn es uns aber gelingt, jenen Glauben an die Kraft der Ideen wiederzuerlangen, der das Kennzeichen des Liberalismus zu seinen Glanzzeiten war, dann ist der Kampf nicht verloren.“

Erstmals erschienen bei „Peace Love Liberty – Das Studentenmagazin“.

2 Kommentare
  1. kobimex
    kobimex sagte:

    Ich glaube, viele haben gar nicht mal etwas gegen Globalisierung, sondern sie lehnen vor allem die intransparente, unfaire und nur auf Wirtschaftsinteressen beruhende Art und Weise ab, wie Globalisierung vorangetrieben wird. TTIP und CETA sind dafür krasse Beispiele, bei denen ja selbst Politiker in Deutschland nicht volle Transparenz erhalten. Dann wundert es auch nicht, dass die Trumps dieser Welt gewählt werden. So bedauerlich das auch vor dem Hintergrund der vielen Vorzüge der Globalisierung auch ist…

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  2. Alfred Reimann
    Alfred Reimann sagte:

    Alles richtig, aber warum folgt Ihr nicht Hayek und schaut auf neue Ideen. Neue Ideen findet Ihr auf http://www.wohlfuehloekonomie.de. Freiheit für alle ist notwendig und möglich, da durch die Technik erfreulicherweise immer weniger Menschen für die (Grund) Versorgung gebraucht werden. Es ist die Angst vor Hartz IV. Die Globalisierung ist nur das vermeintliche Übel. Mehr Freiheit für alle ist nötig, nicht nur für die Vermögenden und Erfolgreichen.

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