Photo: Pedro Ribeiro Simoes from Flickr (CC BY 2.0)

Die deutsche Regierung steckt in einem großen Dilemma. Die Euro-Zone entwickelt sich immer weiter auseinander. Die einen häufen immer neue Staatsschulden, Arbeitslosenzahlen und Leistungsbilanzdefizite an. So haben beispielhaft Italiens Staatsschulden mit 135,7 Prozent zur Wirtschaftsleistung den höchsten Stand seit 1924, in Portugal liegen sie bei 129 Prozent, Spanien 99,2 Prozent und Griechenland 176,9 Prozent.

Die Arbeitslosigkeit in Spanien liegt bei über 4 Millionen registrierter Bürger, die nur dadurch sinkt, da viele das Land verlassen. In Frankreich liegt die tatsächliche Arbeitslosenzahl wohl bei 6,5 Millionen. Die Industrieproduktionen in Frankreich (-10,4 %), Spanien (-17,7 Prozent), Portugal (-18,3 %), Italien (-21,1 Prozent) und Griechenland (- 30,3 Prozent) sind Lichtjahre vom Basisjahr 2000 entfernt. Anders in Deutschland. Dort steigen die Beschäftigungszahlen, die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Industrieproduktion hat gegenüber dem Jahr 2000 um 21 Prozent zugelegt und selbst den Höchststand von 2007/2008 wieder erreicht.

Ausdruck dieser Entwicklung innerhalb der Euro-Zone sind die so genannten Target-Salden. Seit August 2012 steigen die Forderungen der Bundesbank gegenüber dem Eurosystem wieder. Mit 625 Milliarden Euro sind sie nicht mehr weit vom Allzeithoch von 751 Mrd. Euro im August 2012 entfernt. Sie entsprechen weitgehend dem kumulierten Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands gegenüber den Krisenländern in der Eurozone. Anders ausgedrückt, die Waren und Dienstleistungen, die deutsche Unternehmen in den Club Med exportieren, werden von den Krisenländern bei der EZB angeschrieben – so lange bis der Arzt kommt.

Deshalb meinen einige, die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands seien die Defizite Griechenlands, Spaniens oder Italiens. Das ist natürlich zu kurz gesprungen. Denn Deutschland exportiert seine Waren- und Dienstleistungen nicht nur in die Eurozone. Deutsche Unternehmen exportieren nur 36 Prozent der Waren und Dienstleistungen in die Euro-Zone, 22 Prozent in die restliche EU und 42 Prozent außerhalb Europas. Dennoch zeigt das Phänomen zumindest einen Teil der Problematik. Innerhalb der Eurozone wächst eine Gruppe von Staaten seit Jahren, während ein anderer Teil schrumpft oder stagniert. Um dieses Problem zu lösen, gibt es eigentlich nur drei Wege.

Der erste Weg ist der der deutschen Wiedervereinigung. Wir schaffen ein einheitliches Rechtsgebiet, gleichen die Sozialstandards an und versuchen durch öffentliche Investitionen und Transfers die Arbeitslosigkeit in den Krisenstaaten zu senken und die öffentlichen Haushalte zu finanzieren. Dieser Pfad würde eine neue Dimension der Umverteilung in der EU erfordern. Es würde eine über das bestehende Maß weit hinausgehende Transferunion einleiten, bei der Leistungsbilanzdefizite und Target-Verbindlichkeiten innerhalb des Währungsgebietes nicht mehr diskutiert, sondern schlicht akzeptiert würden. So war und ist es letztlich mit der Deutschen Einheit auch. Sie war eine nationale Aufgabe, der sich alle Regierungen bislang verpflichtet haben. Schätzungen über die finanzielle Dimension der Deutsche Einheit liegen bis heute bei rund 2 Billionen Euro.

1989 lebten in der DDR 16,4 Millionen Bürger. Es wäre unredlich, diese Zahl einfach auf die restlichen Eurostaaten zu übertragen. Doch wenn alleine Griechenland (11 Mio. Einwohner), Italien (60 Mio. Einwohner), Spanien (46 Mio. Einwohner) und Portugal (10 Millionen Einwohner) herangezogen werden, ist man bereits bei 127 Millionen Einwohnern. Würde man den gleichen Transferbedarf wie für die Deutsche Einheit unterstellen, käme man auf einen Bedarf von fast 15,5 Billionen Euro, die in den Süden transferiert werden müssten. Würde diese Summe – wie aktuell in Deutschland – auf bislang 26 Jahre verteilt, bestünde ein Transferbedarf von fast 600 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: der Bundeshaushalt hat derzeit ein Gesamtvolumen von 316 Milliarden Euro und der EU-Haushalt von 155 Milliarden Euro. Damit wird man also nicht allzu weit kommen. Die Zahlen zeigen aber die Herausforderung dieses Weges.

Der zweite Weg ist der, den die jetzige Regierung wohl einschlagen wird. Sie wird argumentieren, dass es doch sinnvoller sei Straßen, Schulen und Hochschulen in Deutschland herzurichten, anstatt den Schlendrian in Griechenland oder Portugal zu finanzieren. Viele Profiteure, von den Gewerkschaften über die Arbeitgeberverbände bis zu den kommunalen Spitzenverbänden werden jubeln und Hosianna schreien. Doch es ist wahrscheinlich der Weg, den Pfad der Vernunft endgültig zu verlassen und wieder stärker in die eigene Verschuldung zu gehen. Es ist, um es etwas überspitzt auszudrücken, der Weg der Angleichung der Lebensverhältnisse in der Eurozone.

Ein bisschen mehr Hellas bei den Rentenausgaben, ein wenig Siesta im Arbeitsmarkt, einen Schluck „Grande Nation“ bei den Verteidigungsausgaben und ein Brikett Mezzogiorno bei den Sozialtransfers. Obendrauf kommen noch ein schuldenfinanziertes Investitionsprogramm aus der Mottenkiste der 70er Jahre und fertig ist die „Agenda 2030“. Bei George Orwell waren das in „1984“ noch „Gedächtnis-Löcher“, die eigentlich ausgelöscht waren. Jetzt kommen sie wieder hoch und die EU-Kommission wird dies alles begrüßen. Wenn schon, dann soll es im Euro-Club allen gleich schlecht gehen. Damit würde Deutschland sein Leistungsbilanzüberschuss von über 6 Prozent endlich reduzieren, worauf die Technokraten in Brüssel schon länger drängen. Starre Regeln wie der Fiskalpakt oder die Schuldenbremse in der eigenen Verfassung verhindern nur den Fortschritt und werden deshalb geschleift und aufgeweicht.

Der dritte Weg ist der harte und steinige Weg. Er ist deshalb in der derzeitigen Gemengelage der unwahrscheinlichste. Dennoch soll er hier der Vollständigkeit halber genannt werden. Dem heutigen Zeitgeist würde er eigentlich am ehesten entsprechen. Er wäre „nachhaltig“. Er würde einem Ordnungsprinzip folgen, das heißt: Du kannst nur das ausgeben, was du vorher erwirtschaftet hast. Es ist so simpel und schon fast banal, ohne Schnickschnack und komplizierte Pläne. Doch oftmals sind gerade die einfachen Wege die schwierigsten.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

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