Angela Merkel hat sie nicht, Francois Hollande wohl auch nicht und Jean-Claude Juncker erst recht nicht: Eine Vision für Europa. Alle reagieren mit den alten Rezepten auf neue Herausforderungen. Junckers Investitionsprogramm ist so ein alter Hut, dass es schon gedanklich Schmerzen bereitet. Draghis Schuldenankaufprogramm ist wie eine Schrotflinte. Ihr wird die Treffsicherheit schon vor dem Abschuss abgesprochen. Und die Eurorettung in Griechenland per Befehl aus Brüssel und Europas Hauptstädten hinterlässt auch kein heimeliges Gefühl in den Köpfen der Menschen. Um es mit Shakespeare zu sagen: „Etwas ist faul im Staate Dänemark.“ Die Europäische Union, ihre Institutionen und ihre Regierungen scheitern an ihrer Größe, am Zentralismus und ihrer Komplexität. Es ist jedoch noch nicht zu spät, um aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Denn es ist unbestritten, dass das vereinte Europa von seinen Gründungsvätern Konrad Adenauer, Robert Schuman, Jean Monnet, Alcide De Gasperi und anderen als ein Hort der Freiheit gegen alle Formen von Diktatur, Unfreiheit und Planwirtschaft erträumt wurde. Das heutige Europa ist jedoch auf dem Weg in die monetäre Planwirtschaft und den politischen Zentralismus. Deshalb ist es notwendig, wieder den Blick auf die Gründerväter zu richten. Sie wollten ein Europa des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit. Die heutigen Regierungen des Euroraums, die EU-Kommission und die EZB verabreden sich hingegen zu einem fortgesetzten kollektiven Rechtsbruch, obwohl die EU-Kommission als Hüterin der Verträge und die nationalen Regierungen zum Schutz des Rechts verpflichtet sind.

Neben den ökonomischen Aspekten kommen zunehmen außen- und sicherheitspolitische Interessen mit ins Spiel. So liest man allenthalben, Griechenland dürfe auch deshalb nicht aus dem Euro ausscheiden, weil damit die „Südostflanke“ der NATO gefährdet sei. Und Lettland wurde sicherlich nicht Anfang 2014 das 18. Euro-Mitglied, weil die Gemeinschaftswährung so wenig krisenanfällig ist, sondern weil es die Balten aus sicherheitspolitischen Überlegungen noch stärker gen Westen drängte.

Die Europäische Union braucht eine neue Vision, die eine Machtbeschränkung der Politik durch Verfahrensregeln und eine institutionellen Ordnungsrahmen in einem non-zentralen Raum sichert. Diese Union darf nicht als Bedrohung in den Ländern empfunden werden, die sich nicht anschließen können oder wollen. In ihr darf nicht das Primat der Politik vorherrschen, sondern ein Primat von Recht und Freiheit. Es geht um die Begrenzung der Macht durch das Zurückdrängen der Politik und ihres Einflusses.

Gerade dies ist heute nicht gewährleistet. Die Kommission und das Parlament der Europäischen Union mischen sich in alle Einzelfragen ein und fühlen sich dafür zuständig. Unveräußerliche Bürgerrechte werden bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung beschränkt, die Dezentralität der Marktwirtschaft wird durch eine zentrale Investitionslenkung ersetzt und die Altersvorsorge der Bürger wird durch den Geldsozialismus der EZB vernichtet. Selbst die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union dienen im Zweifel immer dem Machtzuwachs der Institutionen der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedsstaaten. Diese Entwicklung in die Unfreiheit und Knechtschaft dient einem höheren Ziel: der Vollendung des europäischen Superstaates. Es sind diese kollektivistischen Ideen, die den Gründungsmythos der europäischen Einigung gefährden und letztlich zerstören.

Deshalb ist eine Diskussion über „Welches Europa wollen wir?“ dringender denn je. Wollen wir ein Europa des Zentralismus und der Unfreiheit oder ein Europa der Vielfalt und der Freiheit. Um diese grundsätzliche Weichenstellung geht es – um nicht mehr und nicht weniger.

Will man das Europa der Vielfalt und der Freiheit, dann braucht es einen institutionellen Ordnungsrahmen, der Recht und Freiheit gegenüber politischer Willkür schützt und sichert. Und es braucht Regeln, die allgemein, abstrakt und für alle gleich sind, damit sie nicht umgangen oder interpretiert werden können. Bereits 1993 hat die „European Institutional Group“, ein Zusammenschluss liberaler Wissenschaftler in Europa, Vorschläge dazu gemacht. Angepasst auf die heutige Zeit könnte eine neue Agenda folgende Punkte umfassen:

  1. Ein Sezessionsrecht für Mitglieder der Währungsgemeinschaft und der Europäischen Union (letzteres existiert bereits).
  2. Eine Ausschlussmöglichkeit aus EU und Euro-Raum gegenüber Mitgliedern, die sich dauerhaft nicht an die gemeinsam geschaffenen Regeln halten.
  3. Der Einrichtung einer zweiten Kammer, die von den nationalen Parlamenten entsandt wird. und die die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips überwacht. Dies ist zu verbinden mit einer Reduzierung des Parlaments der Europäischen Union auf 500 Mitglieder, die in allgemeinen, gleichen und unmittelbaren Wahl gewählt werden.
  4. Eine klare Aufgabentrennung zwischen EU und Nationalstaaten.
  5. Keine Steuerhoheit und keine eigene Verschuldungsmöglichkeit der EU.
  6. Ein klares Bekenntnis zur Kapitalverkehrs-, Niederlassungs-, Waren- und Dienstleistungs- und Reisefreiheit in der Europäischen Union
  7. Eine Reduktion der Kommission der EU auf 12 Kommissare.
  8. Die Schaffung eines Überprüfungsgerichts, dessen Richter von den höchsten nationalen Gerichtshöfen entsandt werden, und die über alle Fälle verhandeln, die die Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedsstaaten betreffen können.
  9. Eine Verlagerung des Initiativrechts für die EU-Gesetzgebung von der Kommission auf den Europäischen Rat. Eine Kammer des Parlaments kann den Rat auffordern, in einem bestimmten Punkt gesetzgeberisch aktiv zu werden. Der Rat hat ein Vetorecht gegen Gesetzgebungsvorhaben.
  10. Ein Konvent mit einer anschließenden Volksabstimmung in allen Mitgliedsstaaten soll die notwendige Legitimation bei den Bürgern einholen.

Die Europäische Union ist am Scheideweg. Deshalb muss die öffentliche Debatte um „Welches Europa wollen wir?“ die verkürzte Diskussion um Ölkännchen, Glühbirnen und Chlorhühner verlassen. Das sind lediglich Ergebnisse des institutionellen Versagens der Union. Eine Diskussion wird nur dann Erfolg haben, wenn sie sich nicht nur auf das beschränkt, was jetzt politisch möglich ist, sondern konsequent die Idee der Gründerväter im Blick hat – eine Vision Europas, die Recht und Freiheit durch Non-Zentralismus schützt.

Photo: Nico Kaiser from Flickr

4 Kommentare
  1. Echbeck16
    Echbeck16 sagte:

    Eine EU als freiwillige Vereinigung souveräner Staaten braucht noch viel weniger, als Sie, Herr Schäffler, in Ihren 10 Punkten vorschlagen. Ein Sezessionsrecht für Mitglieder der Europäischen Union wäre eine Selbstverständlichkeit, die gar nicht erwähnt werden müßte, ebenso die Ausschlussmöglichkeit von
    Mitgliedern, die sich dauerhaft nicht an die gemeinsam geschaffenen
    Regeln halten. Diese EU braucht auch keine gemeinsame Währung. Sie braucht kein Europaparlament als erste Kammer und erst recht braucht sie keine zweite Kammer, vor allem braucht sie keine Europäische Kommission mit 28 Kommissaren und Tausenden von überbezahlten, unterbeschäftigten Beamten, die ihre eingebildete Wichtigkeit mit dem Erfinden überflüssiger und behindernder Regeln nachzuweisen versuchen. Sie braucht einen grundlegenden Vertrag, der per Volksabstimmung in allen teilnehmenden Staaten anzunehmen wäre, den Europäischen Rat, der das berät und beschließt, was gemeinsam getan werden soll, und ein Europäisches Gericht, das ausschließlich darüber entscheidet, ob ein Mitglied gegen einen gültigen Vertrag verstoßen hat. Das ist alles.

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  2. BressHJ
    BressHJ sagte:

    Punkt 11:
    Drastische Reduzierung der Gehälter und sonstiger Zahlungen an alle EU-Funktionsträger vom Parlamentspräsidenten und Kommisssionsversitzenden bis zum Pförtner, um Fehlsteuerungen durch falsche Anreize zu vermeiden.

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  3. Gunter Grigo
    Gunter Grigo sagte:

    „Will man das Europa der Vielfalt und der Freiheit, dann braucht es eine institutionellen Ordnungsrahmen, der Recht und Freiheit gegenüber politischer Willkür schützt und sichert“ Das ist doch total widersprüchlicher Schwachsinn!
    Wer soll diesen institutionellen Ordnungsrahmen denn vorgeben/bestimmen – die Poltik oder die Wirtschaft? Zudem beteiligt die Politik doch zunehmend die Wirtschaft (s. CETA, TTIP, TISA) und die Wirtschaft versucht doch zunehmend aggressiv Einfluss auf die Politik zu nehmen (s. exzessiven Lobbyismus). Wo ist denn das Problem? Mal ganz ehrlich – Manager der Wirtschaft würden es in der Politik doch auch nicht anders machen als die Politiker.

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  4. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    „Etwas ist unheimlich ist faul im Staate Dänemark“ sagt der Frank (und frei), den ich vor wenigen Wochen mit dem Handbike in Herford zufällig getroffen habe.
    Und damit er vollkommen recht.
    Die oben genannten Vorschlagspunkte hören sich erstmal nicht falsch an. Aber wird dadurch das Problem der Euro-Krise im Kern gelöst?

    Am Reichstag hat es jedenfalls mal eine Aktion gegeben. Vor den Schriftzug „dem deutschen Volke“ wurde ein Banner mit dem Schriftzug „der deutschen Wirtschaft“ gehängt.

    Also ist die Kernursache des Problems darin zu finden, dass die Politik zu sehr mit der Wirtschaft herumkungelt, um alle möglichen Probleme zu lösen. Uns allen wird es vermutlich gutgehen, wenn es nur der Wirtschaft gutginge.

    Dass es aber nicht uns allen gutgeht, kann man bereits daran erkennen, dass man mit normaler Arbeit seinen Lebensunterhalt kaum noch bestreiten kann und dass Langzeitarbeitslose fast gar keine Chancen haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt jemals noch etwas zu finden.

    Und was ist eigentlich davon zu halten, wenn immer mehr Menschen sich mühsam mit Mini-Jobs über Wasser halten müssen, um beispielsweise ihre Rentenverischerungen nicht für Hartz IV auflösen zu müssen, während Politiker sich bequem die Diäten erhöhen?
    Und solche Irrsinnsystem wie Zwangsfernsehen zu Gunsten von Günter Jauch & Co. sind ein Sog in die Armut. Ich kann es nicht hinreichend erkennen, dass Vizekanzler Gabriel soziale Politik machen will.

    Und sind unsere Politiker auch wirklich fürs Volk da? Ich habe manchmal den Eindruck, dass das ein reines Krisenmanagement ist, was da abläuft.

    Aber wo könnten die Kernursachen der Krise liegen?
    Bei uns gibt es eine Art Bankgeheimnis (vgl. 30a AO). Damit bekam ein bereits vorhander Bankenerlass, der die bestehende Gesetzeslage erklären sollte, einen Gesetzesrang, um damit das Vertrauen zu stärken, dass Sparguthaben den Blicken der öffentlichen Hand entzogen seien.
    Gerichte sind somit auch an den Wortlaut dieser Verwaltungsvorschrift gebunden.

    Man sagt sich also:
    Wir haben also dann Wohlstand, wenn viel Kapital ins Inland fließt.

    Oder geht es unseren Politikern mehr darum, ihre Finanzen nicht zu sehr offenlegen zu müssen?

    Was als Folge des Bankgeheimnisses mitunter passiert, kann man beispielsweise am Fall Uli Hoeneß sehen.
    Ich finde es jedenfalls bedenklich, wenn der Staat erst ein Vertrauen schafft, dass Sparguthaben den Blicken der Öffentlichen Hand entzogen seien und sich dann wundert, dass dann eine Kapitalflucht stattfindet.

    Weitere Krisenursachen sind:
    – unsere Demokratie funktioniert nicht
    – Regierung dient zwei Herren (vgl. Bibel)
    a) dem Wählermandat
    b) der Wirtschaft, die viele Millionen spendet

    – das Rentenumlageverfahren hilft mit, dass Deutschland sich abschafft, weil immer weniger Arbeitende immer mehr Rentner bezahlen müssen.
    – Wenn die SPD es aber sagt, dass man sich doch ohnehin keine rentierliche Rente ansparen könne, dann geht soetwas nicht.
    – die Regierung eines überschuldeten Staates macht sich m.E. auf internationaler Ebene etwas Ähnliches wie strafbar, wenn beispielsweise Kommunen ohnehin niemals eine Insolvenz anmelden
    – die ständige Bankenrettung ist jedenfalls eine Folge davon, dass wir überschuldet sind

    Warum sind wir überschuldet?
    – wir müssen von dem Denken wegkommen, dass Banken unentbehrliche Mitspieler in einem Wirtschaftssystem sind. Tatsächlich sind sie es nicht.
    Daher könnte eine Verstaatlichung des Geldtransaktionswesens weiterhelfen um es zu verhindern, dass Banken zu nah am Geld sitzen.
    Dann kann es gleichzeitig werden, dass Banken nur wegen ihrer besseren Nähe zum Geld Gewinne schreiben können.
    – unsere Regierung geht mit der Wirtschaft so um, als würde es uns allen besser gehen, wenn es doch nur der Wirtschaft gutginge. Dies ist jedoch ein gedanklicher Fehler.
    Unsere Regierung kam noch nie auf die Idee, dass auch Arbeitnehmer am Firmenkapital beteiligt werden könnten. Stattdessen überschlagen sich beispielsweise die Kommunen regelrecht, um einen guten Standort für die Wirtschaft zu liefern. Etliche Kommunen in Deutschland sind aber leider mehrfach überschuldet, während es auch Kommunen gibt, die schwarze Zahlen schreiben.

    man sagt:
    – Wettbewerb nützt dem Endverbraucher
    – Wettbewerb der Staaten nützt den Plutkokraten

    Warum aber haben wir eigentlich eine Bankenaufsicht, wenn uns dieses extrem viel höhere Risiko im Geldsystem völlig egal ist?

    Wir haben ein Geldsystem, wo es offensichtlich eine Geldmengenausweitung gibt. Sonst bräuchten wir auch nicht die Unterscheidung zwischen den Geldmengen M1, M2 und M3.
    In dieser Geldmengenausweitung sehe ich eine Gefahr. Es muss daran gearbeitet werden, dass es keine Geldmengenausweitungen mehr gibt.
    Ich habe jedenfalls den leichten Verdacht, dass bereits viel erreicht wäre, wenn man die Banken so weit wie möglich überflüssig macht. Mit einem bargeldlosen Geldsystem könnte dies vielleicht möglich werden.

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