Photo: United States Mission Geneva from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Mit dem Verdikt „undemokratisch“ wird der Schrecken von TTIP und CETA anschaulich an die Wand geworfen. Es ist verwunderlich, dass dieser Vorwurf verstummt, sobald es um Organisationen wie die OECD, die WHO oder gar die Klimakonferenzen geht, die zum Teil erheblich gravierendere Defizite aufweisen.

Technokratie schlägt Demokratie

Als Beweis für den undemokratischen Charakter der Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada wird immer wieder auf Schiedsgerichte verwiesen, die „in Hinterzimmern“ und jenseits „demokratischer Kontrolle“ tagen und entscheiden würden. Wie sieht es eigentlich mit der demokratischen Legitimation und der Kontrolle durch die Öffentlichkeit aus bei anderen transnationalen Abkommen und Organisationen? Die Weltgesundheitsorganisation etwa macht in regelmäßigen Abständen Vorschläge, die weit über die Bekämpfung von AIDS, Polio und Teenage-Schwangerschaften hinausgehen und dennoch häufig ohne große Diskussion in nationales Recht übernommen werden.

Erst vor kurzem schlug sie vor, zuckerhaltige Produkte mit einer Steuer von mindestens (!) 20 Prozent zu versehen. Zucker und Salz, Fett, Alkohol und Tabak – all das steht auf der Abschussliste. Und mittlerweile gehen die Ideen auch weit über bloße Aufklärung und Prävention hinaus: vom Werbeverbot über Zusatzsteuern bis hin zu neutralen Zigarettenschachteln („plain packaging“ – es gibt auch bereits Forderungen, dieses Konzept auf Alkohol und „ungesundes“ Essen auszuweiten). Solche Vorschläge, die im Gewand technokratischer Neutralität, wenn nicht gar wissenschaftlicher Objektivität daherkommen, werden in vielen Ländern unbesehen übernommen. Demokratischer Kontrolle und vor allem öffentlicher Diskussion entziehen sich die Befürworter solcher Regelungen indem sie sich mit der Aura internationalen Expertentums umgeben.

Eine Spielwiese für Bürokraten und Lobbyisten

Dabei ist die WHO selber eine durch und durch undemokratische Organisation – und zwar noch viel deutlicher als das internationale Schiedsgerichte sein können. Während es sich bei Letzteren um Gremien handelt, die jeweils von Fall zu Fall einberufen werden, hängt an der WHO ein gigantischer bürokratischer Apparat mit 8500 Mitarbeitern. Eine „Kontrolle“ findet statt durch Delegierte, die von ihren jeweiligen Mitgliedsstaaten gesandt werden: also zum Beispiel aus Nordkorea, Russland, Zimbabwe und Venezuela. Und natürlich steht auch die Pharmaindustrie nicht tatenlos beiseite, sondern nutzt diese weltweite Organisation auch zur Lobbyarbeit für ihre eigenen Produkte und gegen Konkurrenten, gerade in den weniger entwickelten Ländern.

Die OECD, die ganz ähnliche Politikempfehlungen gibt, von PISA bis zur Aufweichung von Datenschutz im Zusammenhang mit „Steuerflucht“, ist ebenso wenig durchschaubar. Die Delegationen werden von den Regierungen entsandt und können in ihren eigenen Hinterzimmern auch mancherlei Agenda ersinnen, die dann rasch Verbindlichkeit erlangt. Diese und viele andere Organisationen und ständige Konferenzen sind in vielerlei Hinsicht der Kontrolle durch Parlamente und Öffentlichkeit entzogen, betreiben ihre eigene Agenda und sind Einflüssen ausgesetzt, die zumindest zweifelhaft sind: von Industrielobbyisten bis zu Vertretern von Diktaturen und Unrechtsregimen.

Je stärker Menschen betroffen sind, umso mehr sollten sie mitreden können

Allein, in die Kritik kommen sie nur selten. Und das liegt wahrscheinlich daran, dass sie zum Teil tatsächlich „für die gute Sache kämpfen“, sich aber insbesondere auch immer diesen Anstrich geben. Wer etwas gegen dicke Kinder, Raucherbeine und Steuerflucht tut, der muss ja auf der guten Seite der Macht stehen. Aber so einfach ist es nicht. Ganz unabhängig davon, was die tatsächlichen Motive dieser Akteure sein mögen – ihre Lösungen sind in der Regel weder zielführend noch gerecht. Strafsteuern und Verbote für alle Konsumenten, Einheitsstandards oder weltweit verbindliche Vorgaben sind der sicherste Weg in eine tatschlich ungerechte Welt, wo sich alle den Vorgaben einer Technokraten-Elite zu beugen haben.

Wie findet eigentlich demokratische Kontrolle statt? Sie hat viel damit zu tun, wie unmittelbar, allgemein und langfristig etwas ist. Je stärker Menschen betroffen sind, umso mehr sollten sie mitreden können. Wenn – Stichwort Schiedsgerichte – die Stadt Hamburg ihren Verpflichtungen gegenüber Vattenfall nicht nachkommt und sich daraufhin auf einen Vergleich einigt, dann haben wir keinen Mangel an demokratischer Kontrolle. Kontrolliert werden müssen und können Senat und Bürgerschaft, die für die Vertragsverletzungen zuständig sind. Es ist ein Kernelement der repräsentativen Demokratie, dass bestimmte Aufgaben wie etwa Vertragsabschlüsse an Abgeordnete und Exekutivorgane delegiert werden und die Kontrolle dann alle paar Jahre für die Gesamtbilanz durchgeführt wird.

Demokratiedefizit: von missionarischem Eifer beseelte Technokraten

Ganz anders verhält es sich bei politischen Maßnahmen, also da, wo nicht einzelne und konkrete Entscheidungen getroffen werden, sondern allgemeinverbindliche Regeln bestimmt werden. Während etwa im Fall von Vattenfall nur mittelbar die Hamburger Steuerzahler und darüber hinaus einige Anwohner und einige Angestellte betroffen sind, treffen 20 % Zuckersteuer, erhöhte Überwachung oder ähnliche Repressalien alle Bürger, ja alle Konsumenten eines Staates. Hier ist viel deutliche demokratische Kontrolle gefordert!

Anstatt sich an der vermeintlichen und zum Teil auch tatsächlichen Intransparenz rund um TTIP und CETA aufzureiben, die die allermeisten Menschen ohnehin kaum irgendwie betrifft, sollten wir das Augenmerk auf diejenigen undemokratischen und intransparenten Akteure richten, die Maßnahmen durchsetzen, die fast jeden von uns betreffen. Nicht Unternehmen, die für sich, ihre Eigentümer, Angestellten und Kunden Rechtssicherheit haben wollen sind das Problem. Das Problem sind von missionarischem Eifer beseelte Technokraten, die uns alle zu besseren Menschen machen wollen. Notfalls auch gegen unseren expliziten Willen. Hier besteht ein gravierendes Demokratiedefizit, das angegangen werden will.

2 Kommentare
  1. Christophe Lüttmann
    Christophe Lüttmann sagte:

    Dies ist sicher eine berechtigte Kritik an der Kritik. Andererseits sind viele Themen des Liberalismus in der Öffentlichkeit mit Ignoranz bestraft. Daher ist es allemal besser über TTIP und CETA zu streiten, als den Diskurs vollends zu lassen. Ein Freihandelsabkommen benötigt ganz sicher nicht 1.500 Seiten; höchstens 1-3 wären notwendig.
    Die demokratischen Strukturen in Europa sind längst durch Lobbyismus zerfressen. Eine wahre Demokratie, in der das Volk das Sagen hat und die Politiker nur die Erfüllungsgehilfen sind, ist nirgendwo existent.
    TTIP und CETA sind nur ein Beispiel für dieses ausufernde Krebsgeschwür, welches die Freiheitsrechte der Bürger sukzessive auffrisst.
    Wer wie ich gegen TTIP und CETA angeht ist kein Ignorant dem Freihandel gegenüber und ebensowenig übersehen wir die sonstigen Misstände; Wenn aber außer den Üblichen auch noch Gewerkschaften und Linke auf den Zug aufspringen, dann muss man diese Dynamik mitnehmen.

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  2. Axel-Rainer Schmitt
    Axel-Rainer Schmitt sagte:

    „Das Problem sind von missionarischem Eifer beseelte Technokraten….“ Genau! Man könnte auch von einer Lebensführungsbürokratie sprechen, die sich seit langem auf nationaler wie auf internationaler Ebene eingenistet hat und die auch vor (psycho) terroristischen Maßnahmen wie Schockbildern nicht zurückschreckt, um die Menschen nach ihrem, recht dürftigen Idealbilde zu formen. Ihre Machtbasis ist freilich ein eklatanter Mangel an Würdeempfinden der Menschen selbst. Wer auf seine Würde achtet, würde sich jede Einmischung in seine Lebensführung verbeten und sich jedem Kollektivierungsversuch seiner Gesundheit widersetzen. Doch der Widerstand ist mau. Man gehorcht lieber und läßt sich beschützen. Man ist geneigt, von einem „ewigen Untertanen“ zu sprechen. Zur Bekämpfung dieses Phänomens wäre es vielleicht hilfreich, wenn der nächste FdP-Parteitag die Entmündigung des Bürgers zum Hauptthema machte.

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