Photo: Devin Stein from Flickr

In früheren Zeiten waren es die Justizminister, also die Verfassungsminister, die sich als Hüter der Grundrechte im Gesetzgebungsverfahren verstanden. Sie leisteten Widerstand, wenn andere Minister allzu großzügig mit der Einschränkung von Verfassungsrechten umgingen. Sie waren also ein Gegengewicht innerhalb einer Regierung. Nicht ohne Grund werden auch deshalb in einer Koalitionsregierung auf Bundesebene der Innenminister und der Justizminister in der Regel von unterschiedlichen Parteien gestellt. Doch in einer großen Koalition verschwimmen diese bewährten Prinzipien. Zwar werden Innen- und Justizminister aktuell von unterschiedlichen Parteien gestellt, aber heute ist es der Justizminister höchstselbst, der die Meinungsfreiheit massiv einschränkt.

Am Freitag sollte eigentlich der Bundestag in erster Lesung über das so genannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz der Bundesregierung, das Verfassungsminister Heiko Maas erarbeitet hat, beraten. Jetzt hat die Unionsfraktion den Gesetzentwurf ihrer eigenen Bundesregierung angehalten. Es müsse substantiell nachgebessert werden. Das ist durchaus ein Zwischenerfolg der Kritiker. Es ist eine Art Notbremse, die die CDU/CSU-Fraktion hier zieht. Denn tatsächlich haben alle Unionsminister im Kabinett und auch das Kanzleramt den Gesetzentwurf aus dem Hause Maas durchgewunken. Es ist ein beispielloser Fall. „Reporter ohne Grenzen“ befürchten „einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit“. Das Gesetz mache Mitarbeiter sozialer Netzwerke zu Richtern über die Meinungsfreiheit, so der Vorwurf des Journalistenverbandes. Maas will gegen Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte vorgehen. Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter werden verpflichtet, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen und fragliche Inhalte innerhalb von 7 Tagen zu löschen, in deren Zeit der Verfasser Stellung nehmen oder externe Expertise eingeholt werden kann. Facebook wird so in die Rolle der Sittenpolizei und des Hilfssheriffs der Strafverfolgungsbehörden gedrängt. Die Unternehmen müssen ein Beschwerdemanagement aufbauen und regelmäßig Berichte vorlegen. Bei Nichteinhaltung drohen den Unternehmen Strafzahlungen von bis zu 50 Millionen Euro.

Die Regierung will damit Facebook zähmen und an die Kandare nehmen. Sie glaubt nicht, dass die Nutzer selbst in der Lage sind, ihre Schlüsse aus den Fehlentwicklungen zu ziehen. Das ist schon erschreckend, weil es einem Menschenbild folgt, das die Bürger zu einer stumpfsinnigen Schafherde oder zu einem böswilligen Wolfsrudel degeneriert. Diese Oberlehrerattitüden sind erst der Anfang des fortgesetzten Gangs in den Nanny-Staat.

Im Entwurf ihres Wahlprogramms zur Bundestagswahl wollen die Sozialdemokraten Google und Facebook verpflichten, Inhalte von ARD und ZDF zu veröffentlichen. Eine Zwangsquote Rosamunde Pilcher und Musikantenstadl auf der eigenen Timeline? Claus Klebers „heute-journal“ als Pflichtmitteilung bei jeder Google-Suche? Die Zwangsinformation für alle Nachrichtenmuffel? Wenn immer weniger die Öffentlich-Rechtlichen regulär im TV schauen, müssen die Inhalte halt zu den Zwangsbeitragszahlern gebracht werden. Immerhin müssen ja alle dafür bezahlen, also sollen sie es auch alle sehen müssen. Wer nicht hören will, muss fühlen. So weit weg sind daher die Sozialdemokraten nicht vom Leitkulturgedanken der Union. Sie verstehen nur etwas anderes darunter.

Nicht alles ist gut bei Facebook, Twitter und Co. Wie sollte es auch? Aber deren herausragender Beitrag für die Meinungsfreiheit und -vielfalt und überhaupt für die Demokratie ist unverkennbar. Meinungsdiktaturen in autoritären Regimen überall auf dieser Welt sind viel schwerer durchzusetzen. Informationsasymmetrien, die Despoten in die Lage versetzen, durch Falschinformationen Meinung zu lenken, sind viel weniger möglich.

Auch eine deutsche Regierung verfolgt Interessen mit den Millionenetats ihrer Informationspolitik. Sie wollen in gutem Licht stehen. Sie wollen ihre herkömmlichen Kanäle bedienen. Die Atomisierung dieser Kanäle auf ganz viele Plattformen, Nutzer und Anbieter löst Misstrauen bei den Regierenden aus. Der Missbrauch der neuen Plattformen durch einige wenige wird dann schnell zum Anlass genommen, diese Atomisierung kritisch zu hinterfragen. Staatliche Eingriffe und Regulierungen sollen dann nicht nur die wenigen schwarzen Schafe disziplinieren, sondern auch die Masse lenken.

Gegen diese unlauteren Absichten der Regierenden hilft nur der bürgerliche Protest. Die Vielen müssen sich gegen diese Entwicklung stellen. Und dass dies gelingt, sieht man am heutigen Tag. Doch die Schlacht ist noch nicht geschlagen. Es genügt nicht, Fristen zu verlängern oder einen Halbsatz zu ergänzen. Es braucht gar kein Zensurgesetz im Netz, die Rechtslage ist ausreichend. Daher muss es verhindert werden.

Denn das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist nicht ein Gesetzgebungsverfahren wie viele. Es geht nicht nur um Facebook oder Twitter. Es ist auch nicht eine Bagatelle im Wust von wichtigen anderen Problemen. Es ist der Angriff auf die Grundfesten unserer Demokratie – der Presse- und Meinungsfreiheit. Ohne sie ist alles nichts.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick. 

1 Antwort
  1. Gero Pischke
    Gero Pischke sagte:

    „eigentümlich frei“: Knapp zehn Jahre lang konnten Sie unsere Online-Nachrichten auch über den größten deutschen Nachrichtenaggregator Google News finden. Jetzt nicht mehr – offenbar eine gezielte Diskriminierung.

    Antworten

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