Photo: Dr Les from Flickr (CC BY 2.0)

Das CETA-Abkommen kommt doch noch. Alle Freihandelsgegner haben zu früh gejubelt. Dennoch ist die EU am Scheideweg. Die Handelnden in Brüssel und insbesondere in Berlin sind selbst schuld am Schlamassel. Denn es war lange unklar, ob CETA ein gemischtes Abkommen ist oder nicht, ob es also der Zustimmung der Mitgliedsstaaten bedarf.

Die EU-Kommission vertrat Anfang Juni noch die Auffassung, dass Freihandelsabkommen ausschließlich in die Zuständigkeit der EU falle und die Zustimmung der nationalen und regionalen Parlamente nicht erforderlich sei. Die Kommission hatte dafür gute Gründe. Zur ausschließlichen Zuständigkeit der EU gehört eindeutig die gemeinsame Handelspolitik (Artikel 3, Absatz 1 e AEUV) und die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss internationaler Übereinkünfte (Artikel 3, Absatz 2 AEUV). Klarer geht es nicht.

Doch die EU ist keine Rechtsgemeinschaft, weil die Mitgliedsstaaten sich nicht an gemeinsam geschaffenes Regeln halten und die Kommission ihre Aufgabe als Hüterin der Verträge nicht wahrnimmt. Daher ist das Beinahe-Scheitern von CETA eigentlich nicht Campact oder all den CETA-Gegnern anzulasten, sondern den Regierungen der Mitgliedsstaaten. Sie hatten buchstäblich die Hosen voll. Mit der Brexitentscheidung am 23. Juni in Großbritannien brach Panik aus in den Regierungszentralen in Berlin, Paris und anderswo. Sie vertraten plötzlich die Rechtsauffassung, dass eine Zustimmung des Europa-Parlaments und der 28 Parlamente der Mitgliedsstaaten nunmehr notwendig sei. Damit war die Lunte für das Scheitern gelegt. Erst jetzt konnte ein Regionalparlament, wie in der Wallonie, das nicht einmal ein Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert, den Rest erpressen.

Die fortgesetzten Vertragsbrüche im Kleinen wie im Großen sind wie Sargnägel für die EU. Die Nichtahndung der Verschuldungsgrenzen des Maastrichter-Vertrages in den 2000er Jahren bis heute haben dazu geführt, dass die Schuldenlast in den Mitgliedsstaaten immer weiter ansteigen konnte. Der Bail-Out Griechenlands war ein erneuter Rechtsbruch, der aber eine Folge der vorigen Rechtsbrüche der Maastrichter Schuldenkriterien war. Dass der Fiskalpakt heute keine Rolle mehr spielt, obwohl er eigentlich die Lehre aus dem griechischen Bail-Out sein sollte, beweist dies erneut. Dass Frankreich und Italien in der EU anders behandelt werden als Griechenland, Portugal oder Zypern, zeigt, dass europäisches Recht nicht für alle gleich gilt. Es werden Unterschiede zwischen Klein und Groß gemacht. Das schürt Missgunst und Ressentiments bei den kleinen Mitgliedsstaaten. Daher muss man sich nicht über die Wallonie wundern, sondern sich im Kanzleramt und im Élysée-Palast selbst an die Nase fassen. Und auch die einseitige Aussetzung des Dubliner Abkommens durch Angela Merkel im Sommer letzten Jahres war ein Brechen gemeinsamer Regeln. Gleichzeitig mischt sich die Kommission in Bereiche ein, die wiederum in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fällt. Es ist ein Kampf um Zuständigkeiten, der zwischen Kommission und Mitgliedsstaaten geführt wird.

Die Ursache für die fortgesetzten Rechtsbrüche ist der unzureichende institutionelle Rahmen der EU. Sie ist nicht ausreichend demokratisch und sie ist nicht ausreichend rechtstaatlich. Das Prinzip der Gewaltenteilung existiert nicht. Die Kommission setzt Recht, kontrolliert und sanktioniert es. Das Parlament der EU kontrolliert die Kommission nicht, sondern will mit der Kommission gemeinsam lediglich mehr Zuständigkeiten von den Mitgliedsstaaten erhalten. Ihr Widerpart ist der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs. Er ist keine zweite Kammer, wie der Bundesrat oder der Senat in den USA. Der Rat kann daher auch keine eigenen Gesetzentwürfe vorlegen. Dieses Recht ist der Kommission vorbehalten, die es zur Ausweitung ihrer Kompetenzfülle missbraucht. Wann endlich beginnt in der EU eine systematische Diskussion über diese Konstruktionsfehler? Viele meinen, es sei schon zu spät. Doch Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

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