Photo: Stanislav Kondratiev from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Stephen Davies, Head of Education beim Institute of Economic Affairs in London.

Noch ehe das Corona Virus die Welt in seinen Bann schlug, wuchs die Zahl der Stimmen, die einen Epochenwechsel verkündeten: Nun würde die postliberale Ära beginnen. Der Begriff „postliberal“ fand sowohl als Fremd- als auch bei der Selbstbeschreibung Verwendung. Die These vom Ende der liberalen Epoche hat sich nun im Gefolge der Pandemie und der staatlichen Reaktionen noch rascher durchgesetzt. Der Eindruck, dass ein Ereignis dieser Größenordnung eine Art Schlussstrich oder Wendepunkt markiert, ist weit verbreitet und nachvollziehbar.

Interessanterweise identifizieren viele Menschen den Wendepunkt als Moment, in dem wir von einer liberalen Ära in das postliberale Zeitalter eintreten, in dem liberale Ideen und Politikmaßnahmen vermutlich der Vergangenheit angehören werden. Diese Einschätzung ist freilich nicht die einzige mögliche Entwicklung, die sich aus einer solchen Zeitenwende ergeben müsste: Warum sollte uns nicht eine vollkommen andere Art von Zukunft erwarten? Die Einschätzung folgt aus einer bestimmten Wahrnehmung der Vergangenheit und dem Gefühl, zu verstehen, was durch diese Pandemie offenbar werde. An dieser Argumentation ist etwas dran, aber wir müssen noch genauer hinsehen.

Die vielen unterschiedlichen Liberalen sollten sich allerdings nicht irre machen lassen und befürchten, dass die Lichter der liberalen Zivilisation in ganz Europa erlöschen: Wenn sie die derzeitigen Veränderungen besser verstehen, könnte das am Ende zu einer Verbesserung gegenüber dem Status Quo der letzten zwei bis drei Jahrzehnte führen.

Was bedeutet das Schlagwort postliberal eigentlich? Wenn wir den Begriff analysieren, hat er zwei unterschiedliche Bedeutungen. Erstens impliziert die Vorsilbe „post“, dass wir uns in einer liberalen Ära befanden, in der liberale Ideen und liberale Politik dominierten. Diese Sicht der Dinge ist bei der Linken weit verbreitet und wird auch von manchen konservativen oder rechten Denkern vertreten.

Diese sehr unterschiedlichen Menschen sind alle der Meinung, dass die öffentliche Debatte und das politische Geschehen von spezifisch liberalen (oder auch „neoliberalen“) Ideen dominiert wurden wie freien Märkten, Globalisierung, offenen Grenzen, kulturellem und intellektuellem Individualismus und einer Beschränkung der Regierungsmacht. Ein Kommentator ging so weit zu behaupten, dass Ludwig von Mises der einflussreichste Ökonom der letzten vierzig Jahre gewesen sei.

Zweitens suggeriert der Begriff postliberal, dass wir diese liberal geprägte Welt nun hinter uns gelassen hätten und uns auf dem Weg in eine andere Welt befänden, in der nicht-liberale Ideen die öffentliche Debatte beherrschen werden, ohne dass sies notwendigerweise eine antiliberale Welt sein muss. Ein Teil des Erbes der liberalen Periode kann durchaus überleben. Genau diese Einschätzung ist auch vor jenem schicksalhaften Sommer 1914 aufgetreten und wurde zu einem Gemeinplatz in den Jahren nach dem Krieg.

Die erste Implikation wird bei vielen klassisch Liberalen und Individualisten für zynische Heiterkeit sorgen. Manch einer dürfte gar in schallendes Gelächter ausbrechen bei der Vorstellung, dass die vergangenen Jahrzehnte von freien Märkten, beschränkter Regierungsmacht und Individualismus geprägt gewesen seien: „Ach, wenn dem doch nur so wäre …“

All das ist jedoch Ansichtssache: Ein Sozialist oder Konservativer wird viel stärker den Eindruck haben, dass  sich die Gesellschaft tatsächlich weit in eine liberale Richtung bewegt hat (oder vielmehr das, was sie als liberal ansehen). Ein Liberaler hingegen wird viel eher den gegenteiligen Eindruck haben oder zumindest bedauernd feststellen, wie begrenzt die Entwicklung bisher war. Es hilft hier, wie eigentlich immer, die historische Perspektive.

Diese zeigt uns, dass die Kritiker des Liberalismus nicht ganz Unrecht haben: Über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahrzehnten hat es eine Verschiebung  in Richtung Liberalismus gegeben. Insbesondere ist ein Rückgang des Einflusses von eindeutig nicht- oder antiliberalen Denk- und Handlungsweisen in der Politik und darüber hinaus zu beobachten. In der jüngeren Vergangenheit, insbesondere in den letzten dreißig Jahren, haben allerdings häufig als liberal bezeichnete Vorhaben Formen angenommen, die vielen Liberalen widerstreben. Auch deshalb können sie sie das von ihren Kritikern gezeichnete Bild häufig gar nicht erkennen.

Blicken wir zurück auf die späten 1940er Jahre. Damals befand sich der Liberalismus auf einem Tiefpunkt und blieb es auch für eine ganze Weile. Auch wenn der Faschismus (und mithin der reaktionäre Konservatismus) im Zweiten Weltkrieg besiegt worden war, waren antiliberale Ideen immer noch weit verbreitet und einflussreich. Sowohl in den USA als auch im Vereinigten Königreich herrschte  ein heftiger politischer und intellektueller Wettstreit darüber, ob die umfangreichen staatlichen Kontrollen, die während des Krieges eingeführt worden waren, beibehalten werden sollten. Der Ausgang dieses Streits blieb für lange Zeit ungewiss.

Noch offensichtlicher war die globale Bedrohung durch explizit antiliberale Ideen, die durch Militärmacht unterstützt wurde: Der internationale Kommunismus in Gestalt der UdSSR und ihrer ausländischen Unterstützer, aber auch der revolutionäre Nationalismus, der in der Zwischenkriegszeit viele antikoloniale Bewegungen erfasst hatte. Auch  der traditionelle Despotismus in Gegenden wie Lateinamerika und dem Nahen Osten, den der liberale Westen aus geopolitischen Gründen tolerierte oder sogar unterstützte. Selbst in demokratisch verfassten Ländern bildeten die Liberalen in der Regel eine kleine Minderheit.

Die freiheitlichen Demokratien, die die Errungenschaften des Liberalismus des 19. Jahrhunderts verwirklichten, wurden politisch von Traditionslinien dominiert, die während der Krise des klassischen Liberalismus am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden waren: demokratischer Konservatismus oder Christdemokratie auf der rechten Seite, Sozialdemokratie auf der linken. Zu jener Zeit waren beide Traditionen in ihren Grundüberzeugungen und einem Großteil ihrer Politik nicht liberal. Die Liberalen hatten keine andere Wahl, als mit einer oder beiden dieser Bewegungen ein Zweckbündnis einzugehen.

Ab Mitte der 1960er Jahre waren die Bemühungen dieser liberalen Politiker, und damit auch die Vorarbeit der Intellektuellen, teilweise erfolgreich. Vereinfacht dargestellt, überredeten die klassischen oder marktwirtschaftlichen Liberalen die demokratischen Konservativen, sich auf Ideen des wirtschaftlichen Liberalismus einzulassen. Zugleich gelang es Liberalen, die Sozialdemokraten zur Unterstützung wichtiger Anliegen des gesellschaftlichen Liberalismus  zu bewegen. (Wir vergessen oft, dass Sozialdemokraten und Arbeiterbewegungen vor den 1960er oder 1970er Jahren genauso konservativ waren wie die eigentlichen Konservativen, wenn nicht sogar noch mehr.)

Nach 1990, gelang es, einige Konservative von positiven Aspekten des gesellschaftlichen Liberalismus zu überzeugen und einige Sozialdemokraten von den Vorteilen der wirtschaftlichen Freiheit. In diesem Sinne haben die Gegner des Liberalismus Recht: Es gab in den Jahren nach 1970 eine Bewegung hin zum Liberalismus, und liberale Ideen und politische Maßnahmen haben größere Verbreitung gefunden.

Diese Entwicklung muss aber differenziert betrachtet werden. Während die demokratische Rechte wirtschaftlich liberal und die Linke gesellschaftlich liberal wurde, überzeugte das kaum Anhänger einer der beiden Seiten vollumfänglich vom Liberalismus und dessen fundamentalen Prinzipien. Obwohl liberale Ideen an Einfluss gewannen und einige politische Entscheidungen beeinflussten, gewann damit der Liberalismus als solcher nicht an Gewicht. Stattdessen sind eigenartige ideologische Mischformen entstanden.

1989/90 endete der Kalte Krieg und die Sowjetunion brach zusammen. China blieb zwar eine Diktatur, regiert von von einer rücksichtslosen Oligarchie, folgte aber bereits nicht mehr einer kommunistischen Ideologie. Damals schien es, als ob die verschiedensten liberalen Ideen den Siegeszug anträten. Sie hätten die wichtigsten demokratischen Ideologie-Traditionen auf ihre Seite gezogen, und nun sei die zweite große antiliberale Kraft des  20. Jahrhunderts untergegangen. Wenn die Kritiker des Liberalismus behaupten, dass wir eine Epoche des (Neo-)Liberalismus hinter uns hätten, dann haben sie die 30 Jahre seit dem Fall der Berliner Mauer im Blick.

Es schien, als gebe es keine andere Ideologie mehr, wie der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama behauptete. Und doch war dieser vermeintliche Triumph für den Liberalismus eher ein Nachteil. Liberale Ideen wurden nämlich nicht etwa plötzlich bewusst und offen vertreten und prägten auch nicht Diskurs und Politik. Stattdessen wurden nur  explizit antiliberale Ideen diskreditiert.

So wurde zwar in einigen Bereichen Politik betrieben, die liberal geprägt war. Doch nicht deshalb, weil sich jemand den Idealen und Werten des Liberalismus verpflichtet hätte, sondern vielmehr, weil diese Maßnahmen technisch überlegen schienen oder dem scheinbaren Mittelweg folgten.  Falls man überhaupt davon sprechen kann, dass die Politik der letzten 30 Jahre eine Art theoretischer Grundlage gehabt habe, ließe die sich wohl als Technokratie der Manager beschreiben. Dies ist die Überzeugung, dass sich das wirtschaftliche und soziale Leben, und zunehmend auch das Privatleben, am besten organisieren lässt, indem man die Vorgaben der Wissenschaft praktisch umsetzt.

Dies äußerte sich in zwei Arten von Politik, die heute im Zentrum der Kritik am Liberalismus stehen. Einerseits: Es wurde zwar marktfreundliche Politik betreiben, sie basierte aber darauf, dass Marktbeziehungen vom technokratischen Staat und fachkundigen Ökonomen in Gang gebracht und erhalten wurden, und war nicht das Ergebnis der Interaktionen unabhängiger und freier Individuen. Die Folge war ein Wirtschaftssystem, das immer stärker vom Einfluss von Sonderinteressen geprägt war: Es begannen die Ära einer Kaste der Manager und leitenden Angestellten, die sich durch eine bestimmte, eng gefasste Ausbildung qualifizierte, und das Zeitalter der untereinander vernetzten Großkonzerne, insbesondere in der Finanzindustrie. Ein zentraler Bestandteil dieses neuen Systems war eine zunehmend verzerrte Geldpolitik, die wie eine heimtückische Droge wirkte, und das Wirtschaftsgefüge zunehmend in der Substanz schädigte.

Der zweite Aspekt war eine Gesellschaftspolitik, die sozialen und kulturellen Individualismus förderte, sich aber von konkreten sozialen Beziehungen und Verantwortlichkeiten entfernte. Dies ging einher mit einer Ausweitung des Wohlfahrtsstaates und der Umverteilung, begründet durch eine Verbindung der Ideen von Gleichheit und Individualismus.

Entscheidend für unsere Überlegungen ist: Obwohl liberale Ideen breites Gehör fanden, gab es nicht mehr selbstbewusste und prinzipientreue Liberale jeglicher Couleur als Anfang der 1960er Jahre. Die Grundüberzeugungen verloren ihre fundamentale Bedeutung und wurden mehr aus Pragmatismus als aus Leidenschaft verfolgt. Diese Art technokratischer Politik konnte nicht unbegrenzt überleben, weil sie eine ganze Reihe von grundlegenden Fragen unbeantwortet ließ.

Als Reaktion darauf  gewannen nicht-liberale oder explizit antiliberale Ideen und Philosophien langsam wieder an Boden und fanden neue Ausdrucksformen. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums hat dies unterschiedliche Formen angenommen: Ein Revival des traditionellen reaktionären Konservatismus (insbesondere in Europa, aber auch in den angelsächsischen Ländern); offen antiliberale religiöse Bewegungen; und  der vermehrte Einsatz populistischer Taktik, die Nationalismus und Interventionismus mit einer feindseligen Einstellung gegenüber Kosmopolitismus und gesellschaftlichem Liberalismus verbindet.

Auf der linken Seite gibt es zwei Tendenzen, die zunehmend in erbittertem Konflikt sowohl zueinander als auch mit dem status quo und natürlich mit liberalen Ideen stehen. Die erste ist eine Wiederbelebung des klassischen Sozialismus und des Marxismus. Die zweite Tendenz ist die identitätspolitische Linke, die man auch als Social Justice Warriors bezeichnet, die in der Tradition  der Postmoderne stehen. Sie verbinden eine radikal subjektivistische Idee von Identität mit einer tribalistischen Vorstellung vom gesellschaftlichen Leben und einer höchst intoleranten Sicht darüber, wie öffentliche Diskurse abzulaufen haben.

All  diese Bewegungen stellen sich selbstbewusst gegen den Status quo, den sie als Ausdruck des Liberalismus sehen, den sie auch in einem tieferen Sinne ablehnen. Politisch waren diese Bewegungen zunehmend erfolgreich, auch schon vor dem Schock der Corona-Pandemie und der von ihr ausgelösten Wirtschaftskrise.

Das sieht alles nicht so gut aus. Und in mancherlei Hinsicht ist es das auch wirklich nicht. Es ist jedoch denkbar, dass die Antwort auf diese Herausforderungen am Ende viel Gute bewirkt. Was die Liberalen in der Nachkriegszeit erlebten, führte dazu, dass ihre Ideen und ihre Identität sich abschwächten, auch wenn ihr Einfluss auf politische Entscheidungen teilweise zunahm. Die gegenwärtige Position erfordert, dass die Liberalen im Allgemeinen und die klassisch Liberalen im Besonderen ihre Grundprinzipien wiederentdecken müssen (die nicht mit einer bestimmten politischen Perspektive verwechselt werden sollten), und dass sie sich ihrer eigenen unverwechselbaren philosophischen und ideologischen Identität stärker bewusst werden müssen.

Wenn man mit einer explizit antiliberalen Politik konfrontiert ist, gibt es nur einen Weg nach vorn, nämlich den, eine ganzheitliche liberale Antwort zu geben. Dies impliziert dreierlei: Grundlegende liberale Ideen und Werte neu zu formulieren wie etwa das Konzept der persönlichen Autonomie und die Begrenzung des Wirkungsbereichs der Politik (und das ist mehr als deren Begrenzung aus reinen Effizienzgründen). Die gesamte Bandbreite liberalen Denkens in einer Vielzahl von Fragen zu erkunden und weiterzudenken, anstatt sich nur  auf einen Bereich oder eine Disziplin zu verengen. Und die Teile der liberalen Tradition zusammenzuführen, die über die Zeit auseinander gedriftet sind, die in den Grundlagen übereinstimmen, obwohl sie vielleicht in einzelnen Bereichen, wie etwas in Fragen der Wirtschaft, unterschiedliche Ansichten haben.

Politische Identitäten und Traditionen entstehen oft als Antwort auf eine Herausforderung durch ihre Gegner. Nach 1945 stand der Gegner eindeutig fest, woraus sich eine ganze Reihe von taktischen Allianzen ergaben. Jetzt, wo wir mit antiliberalen Angriffen von verschiedenen Seiten konfrontiert werden, dürfen wir sehr darauf hoffen, dass als Antwort eine stimmige liberale Identität wiederersteht. Falls uns das gelingt, werden wir in der angeblich postliberalen Ära auf ein Gedankengebäude zurückgreifen können, das wieder eindeutiger und klarer liberale Ideen und liberalen Aktivismus ermöglicht als das zuvor der Fall war.

Erstmals erschienen auf dem Blog des American Institute for Economic Research.

Bild: mederndepe from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre.

Die Maßnahmen gegen Covid-19 können unterschiedlich motiviert sein. Zum einen kann das legitime Ziel der Eindämmung des Virus verfolgt werden. Die Pandemie kann aber auch als Vorwand dienen, repressive Maßnahmen dauerhaft zu verankern.

Das Corona-Virus hat Regierungen weltweit zur Einführung weitreichender Eindämmungsmaßnahmen veranlasst. Die Maßnahmen schränken persönliche Freiheiten zum Teil massiv ein. Betroffen sind Grundrechte wie die Bewegungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit. Viele Menschen erachten diese Einschränkungen angesichts der vom Virus ausgehenden Gefahr für geboten. Dennoch besteht die Gefahr, dass freiheitsbeschränkende Maßnahmen nicht wieder zurückgenommen werden, sobald die Pandemie überstanden ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel versicherte mit dem Verweis darauf, sie sei „ein freiheitsliebender Mensch“, dass alle Maßnahmen wieder aufgehoben würden. Auch angesichts der in Deutschland herrschenden Rechtsstaatlichkeit ist ihre Versicherung glaubwürdig. In einigen anderen Ländern gibt es mehr Grund zur Sorge um Freiheitsrechte.

Internationale Reaktion auf Corona

Weltweit haben Regierungen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie getroffen. Die Intensität der Maßnahmen unterscheidet sich allerdings. Wissenschaftler der Oxford Universität haben Daten zur Strenge der Corona-Maßnahmen verschiedener Länder zusammengetragen und in einem Index zusammengefasst. In den Index fließt ein, ob Schulen, Arbeitsstätten und der öffentliche Nahverkehr geschlossen werden, Veranstaltungen untersagt werden, Reisebeschränkungen im In- und ins Ausland bestehen oder ob öffentliche Informationskampagnen durchgeführt werden.

Für die erste Aprilhälfte 2020 ergibt sich folgendes Bild: Die strengsten Maßnahmen sind in Bermuda, Ecuador, Guatemala, Honduras, Kroatien, Indien, Israel, Sri Lanka, Madagaskar, Mauritius, Neuseeland, Ruanda, Serbien, Slowenien, Syrien, Vietnam und Südafrika zu finden. Deutschland liegt auf Platz 109 von 150 Ländern – einen Platz hinter den Vereinigten Staaten. Die Länder mit den am wenigsten schwerwiegenden Maßnahmen in der ersten Aprilhälfte waren Nicaragua, Burundi, Taiwan, Sambia, Schweden, Tansania, Malawi und China.

Ein Blick auf die zeitliche Abfolge der getroffenen Maßnahmen zeigt, dass sie bis Ende Februar im Weltdurchschnitt moderat waren. Im März wurden die Maßnahmen allerdings deutlich verschärft. Diesem Trend ist Deutschland gefolgt.

Rechtsstaatlichkeit und Corona Maßnahmen

Die Maßnahmen gegen Covid-19 können unterschiedlich motiviert sein. Zum einen kann das legitime Ziel der Eindämmung des Virus verfolgt werden. Die Pandemie kann aber auch als Vorwand dienen, repressive Maßnahmen dauerhaft zu verankern.

Ob die Maßnahmen zurückgenommen werden, wenn sie epidemiologisch nicht mehr angezeigt sind, hängt möglicherweise davon ab, wie effektiv die Macht der Exekutive beschränkt ist. In Ländern mit schwach ausgeprägter Rechtsstaatlichkeit könnten die Regierenden die Krisenmaßnahmen für ihre Zwecke missbrauchen. Anlass zur Sorge geben deshalb Länder, die zum einen eine schwach ausgeprägte Machtbeschränkung ihrer Regierung aufweisen und zum anderen besonders restriktive Maßnahmen in Reaktion auf die Corona-Pandemie getroffen haben.

Einen Einblick in die de facto Machtbeschränkung von Regierungen gibt der jüngst veröffentlichte Rule of Law Index des Worldjusticeprojects. In diesem wird basierend auf Umfragen ermittelt, wie gut Regierungshandeln de facto eingehegt ist, nicht de jure. Der Index erfasst 128 Länder. Spitzenreiter in der Kategorie „Machtbeschränkung der Regierung“ sind Norwegen und Dänemark. Venezuela und Nicaragua belegen die letzten Plätze. Deutschland liegt auf Platz 6 von 128 Ländern. Staaten mit wenig ausgeprägter Rechtssicherheit sind im Index vermutlich unterrepräsentiert. So sind einige afrikanische Länder und die der arabischen Halbinsel nicht berücksichtigt.

Venezuela, die Türkei und Ägypten gehören zu den Ländern mit besonders strengen Maßnahmen und besonders schwacher Machtbeschränkung der Regierung. Die Sorge liegt nahe, dass in diesen Ländern der Umgang mit der Pandemie zu einer langfristigen Beschneidung der Freiheitsrechte führt.

Katastrophen und Freiheit

Empirische Ergebnisse zum Effekt von Freiheitsbeschränkungen im Zuge von Epidemien auf die Ausgestaltung der Freiheitsrechte in der langen Frist liegen nicht vor und können der Erwartungsbildung in der aktuellen Situation somit nicht dienen. Eine Untersuchung Hamburger Forscher aus dem Jahr 2017 liefert allerdings ermutigende Ergebnisse basierend auf Untersuchungen anderer Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben oder Stürme. Sie finden keine Hinweise auf dauerhafte Einschränkungen von Menschenrechten und politischen Rechten im Nachgang solcher Ereignisse. Es bestehen der Untersuchung zufolge diesbezüglich auch keine Unterschiede zwischen armen und reichen Ländern, auch nicht zwischen autokratischen und demokratischen Ländern.

In einem weiteren Papier finden der Hamburger Ökonom Stefan Voigt und sein dänischer Kollegen Christian Bjørnskov, beide IREF Fellows, dass die Ausrufung des Notstands in Folge einer Naturkatastrophe nicht dazu beiträgt, die Zahl der Verstorbenen zu verringern. Vielmehr scheinen Regierungen ihre zusätzlichen Befugnisse zu nutzen, um sich selbst besser zu stellen, wie die beiden Autoren in einem aktuellen Beitrag basierend auf ihrem Papier erläutern. In ihrer Untersuchung berücksichtigen Bjørnskov und Voigt die Schwere einer Katastrophe. Daher: Bei gleicher Schwere der Katastrophe verschlimmert die Ausrufung des Notstandes die Situation und es sind mehr Opfer zu beklagen. Dass inzwischen fast 100 Länder angesichts der Corona-Krise den Notstand erklärt haben, stimmt vor diesem Hintergrund sorgenvoll.

Bedrohliche Kombination: harsche Maßnahmen, lasche Machtkontrolle

Bezüglich der langfristigen Folgen der Einschränkung von Freiheitsrechten in Reaktion auf Epidemien liegen keine empirischen Ergebnisse vor. Eine Entwarnung bezüglich der Befürchtung, freiheitseinschränkende Maßnahmen könnten dauerhaft in Kraft bleiben, kann also nicht gegeben werden. Angesichts der im internationalen Vergleich durchschnittlich strengen Maßnahmen in Reaktion auf die Epidemie in Deutschland und eine relativ effektive Machtbeschränkung der Bundesregierung ist für Deutschland in dieser Frage Optimismus angezeigt. Für Menschen in anderen Ländern wie Venezuela, der Türkei oder Ägypten ist die Perspektive dagegen weniger optimistisch. Die Kombination harscher Maßnahmen gegen Corona und laxer Regierungskontrolle könnte zu einer stärkeren Einschränkung von Freiheitsrechten führen, auch nach Bewältigung der gesundheitlichen Herausforderungen.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: KAS-ACDP/Peter Bouserath from Wikimedia Commons (CC-BY-SA 3.0 DE)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Im Herbst 2021 findet voraussichtlich die nächste Bundestagswahl statt. Zu diesem Zeitpunkt wird Angela Merkel 16 Jahre Kanzlerin gewesen sein. Zwar strebt sie – anders als seinerzeit Helmut Kohl – keine weitere Amtsperiode an. Dennoch bietet ihre für Regierungschefs in westlichen Demokratien ungewöhnlich lange Amtszeit Anlass zur Reflektion über die Vor- und Nachteile eines regelmäßigen Austauschs politischer Führungskräfte.

Die Möglichkeit, Regierungen per Wahl friedlich auszutauschen, gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der Demokratie. Durch die regelmäßige Ablösung der Regierung – so die Hoffnung – wird der Entstehung ineffizienter und korrupter Strukturen vorgebeugt und Regierungen haben einen zusätzlichen Anreiz, im Sinne der Bürger zu handeln.

Empirische Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass häufige Regierungswechsel mit substantiellen Kosten einhergehen. Politiker verspüren geringere Anreize zur Umsetzung langfristiger politischer Projekte und Wähler können diese in geringerem Maße belohnen. Gesetzliche Amtszeitbeschränkungen sind daher kritisch zu bewerten. Dem in internationalen Umfragen regelmäßig geäußerten Wunsch nach mehr demokratischer Mitbestimmung per Wahl sollte stattdessen mittels Dezentralisierung und Ausbau des Föderalismus entsprochen werden. So könnten Wähler Entscheidungsträger mit eng begrenzten Aufgabenbereichen besser entsprechend ihrer Leistung im Amt halten oder ihnen den Laufpass geben.

Demokratien: Möglichkeit regelmäßiger Regierungswechsel

Weltweit sind viele Menschen zunehmend unzufrieden mit der Ausgestaltung demokratischer Systeme. Dennoch ist das Vertrauen in den Nutzen regelmäßig stattfindender Wahlen weiterhin hoch: In einer aktuellen Umfrage in 34 Ländern auf allen bewohnten Kontinenten geben rund zwei Drittel der Befragten an, regelmäßige Wahlen seien wichtig, da sie ihnen ein Mitspracherecht sicherten.

Demokratietheoretische Überlegungen stützen diese Einschätzung: Regelmäßige Wahlen erlauben den Bürgern, ihre politischen Wünsche zu kommunizieren, entsprechend handelnde Regierungen zu belohnen und zuwiderhandelnde Regierungen auszutauschen. Politiker werden motiviert, die Präferenzen der Bürger zu berücksichtigen und die Bildung ineffizienter und korrupter Strukturen zu vermeiden. Die Forschung zeigt, dass Regierungswechsel nicht nur direkt das politische Personal austauschen, sondern auch umfangreiche Personalwechsel in der Verwaltung nach sich ziehen.

Solche Anreizeffekte beugen der Aushöhlung anderer wünschenswerter, grundsätzlich von Wahlen unabhängiger Merkmale der Demokratie, etwa der Rechtsstaatlichkeit sowie dem Schutz von Eigentums- und individuellen Freiheitsrechten, vor. Die Möglichkeit, Regierungen durch regelmäßige Wahlen auszutauschen, trägt somit zum Erfolg demokratischer Staaten bei.

Häufigere Regierungswechsel durch Amtszeitbeschränkung?

Wahlen können, müssen aber nicht zum Austausch einer Regierung führen. In Deutschland beispielsweise fanden seit dem Zweiten Weltkrieg 19 Bundestagswahlen statt, doch die Anzahl der Bundeskanzler und entsprechender Kabinettneugestaltungen ist deutlich geringer. Den meisten Regierungen gelang es, mindestens einmal wiedergewählt zu werden.

Manche Beobachter sehen darin ein Problem. Um regelmäßige Regierungswechsel zusätzlich anzuregen, empfehlen sie gesetzliche Amtszeitbeschränkungen wie beispielsweise in Frankreich, wo der Staatspräsident maximal zwei aufeinanderfolgende Amtsperioden à fünf Jahre regieren darf. In Deutschland gibt es derzeit kaum Amtszeitbegrenzungen – sie betreffen auf Bundesebene nur den repräsentativ agierenden Bundespräsidenten. Ein Vorstoß, die Amtszeit des bayerischen Ministerpräsidenten zu begrenzen, scheiterte zuletzt 2018.

Häufige Regierungswechsel bergen Kosten

Gegen die Forcierung häufigerer Regierungswechsel spricht, dass diese Nachteile haben. Wenn die Auswirkungen politischer Entscheidungen erst mit einiger Verzögerung wahrnehmbar werden und sich nur mangelhaft den tatsächlich Verantwortlichen zuordnen lassen, schaffen häufige Regierungswechsel Fehlanreize für Politiker und Wähler. Politiker werden veranlasst, stärker in Projekte mit kurzfristig sichtbaren Vorteilen zu investieren und Projekte, deren Vorteile sich erst langfristig einstellen, zu vernachlässigen. Denn sie werden garantiert nicht mehr regieren, wenn die von ihnen initiierten Projekte in ferner Zukunft Früchte tragen.

Die empirische Forschung dokumentiert zahlreiche Hinweise darauf, dass derartige Anreizverzerrungen tatsächlich nachteilige Wirkungen entfalten. In US-Bundesstaaten führt eine höhere Regierungswechselfrequenz zu höheren Steuern und Staatsausgaben, vermehrten Transfers an untergeordnete Verwaltungsebenen, höheren Staatsschulden und geringerem Wirtschaftswachstum. Ähnliche Befunde gibt es auch in anderen Kontexten, z.B. für Indiens Bundesstaaten und italienische Städte. Abweichende Befunde gibt es für portugiesische Kommunen.

Opportunistisches Verhalten scheinen auch internationale Kreditgeber zu befürchten, die Anleihen von Staaten mit häufigeren Regierungswechseln und gesetzlichen Amtszeitbeschränkungen geringer bewerten. Anhand brasilianischer Daten wird sichtbar, dass der durch Regierungswechsel angeregte Austausch politischer und höherer Beamter kurzfristig negative Effekte haben kann und Wiederwahlbeschränkungen den Anreiz zu korruptem Handeln potenziell erhöhen.

Wahlmöglichkeit stärken, nicht Frequenz erhöhen

In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern gibt es bisher kaum Amtszeitbeschränkungen. Folglich gibt es wenig belastbare Einschätzungen der Auswirkungen häufiger Regierungswechsel in diesen Ländern. Die Anreize für Politiker und Wähler in den USA und den europäischen Demokratien unterscheiden sich jedoch kaum. So deutet viel darauf hin, dass Amtszeitbeschränkungen auch in Deutschland Nachteile mit sich zögen.

Intensiver politischer Wettbewerb ist wünschenswert. Doch ähnlich wie sich marktwirtschaftlicher Wettbewerb nicht zwingend durch häufige Pleiten und große Gewinnschwankungen bei etablierten Unternehmen bemerkbar machen muss, muss intensiver politischer Wettbewerb nicht zwingend zu häufigen Regierungswechseln führen. Wichtig ist die prinzipielle Möglichkeit, die Regierenden auszutauschen, nicht die Häufigkeit mit der ein Austausch tatsächlich vollzogen wird.

Um den politischen Einfluss der Bürger zu stärken und den politischen Wettbewerb anzuregen, stehen zahlreiche Möglichkeiten abseits von Amtszeitbeschränkungen zur Verfügung. Dazu gehört die Verlagerung der Entscheidungsfindung auf untergeordnete Ebenen, also eine Stärkung des Föderalismus.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Moritz Mentges from Unsplash (CC 0)

Von Alexander Horn, Geschäftsführer von Novo Argumente und Unternehmensberater. Kürzlich erschien sein neuestes Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem mehr als zwei Billionen Euro schweren EZB-Staatsanleihekaufprogramm PSPP[1] sorgte für einige Verblüffung. Erstmals bescheinigten die Verfassungsrichter der EZB und obendrein dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), nicht im Rahmen ihrer jeweiligen Mandate gehandelt zu haben. Die EZB habe „mangels hinreichender Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit“ jenseits der ihr „eingeräumten Kompetenzen gehandelt“. Dieses Vorgehen sei vom EuGH gedeckt worden. Der EuGH selbst habe also sein Mandat überschritten, denn er gestehe der EZB sogar eine „selbstbestimmte, schleichende Kompetenzerweiterung zu“.

Damit übertraten die deutschen Richter eine rote Linie. Denn bisher haben die Organe demokratischer Gewaltenteilung, also Bundesregierung, Bundestag und das Verfassungsgericht wie auch die supranationalen EU-Institutionen eisern darauf hingearbeitet, jeden Zweifel an der Legitimität des EZB-Handelns zu zerstreuen. Dass die Verfassungsrichter nun von ihrer bisherigen Linie abgewichen sind, kam keinesfalls überraschend, sondern war, wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) treffend formulierte, „unausweichlich“.[2]

Rückzug der Demokratie

Es war unausweichlich, weil die Geldpolitik seit der Finanzkrise 2008 und verstärkt durch die Eurokrise 2012 so enorm aufgeblasen wurde, dass sich die Grenzen zwischen Geld-, Wirtschafts- und Fiskalpolitik vollkommen aufgelöst haben und die EZB zur zentralen Entscheidungsgewalt geworden ist. Die EZB hat sich im komplexen Gefüge der EU als die handlungsfähige supranationale Institution erwiesen und in zunehmendem Maß politische Verantwortung übernommen. Das zeigte sich in aller Deutlichkeit bei Rettung des Euro durch den damaligen Präsidenten Mario Draghi, indem er auf dem Höhepunkt der Eurokrise sagte, die EZB werde „alles tun“, um den Euro zu retten. Das gelang, weil er damit deutlich machte, dass die Euroländer über die EZB gemeinsam für ihre Schulden einstehen und dies anschließend von keiner Regierung zurückgewiesen wurde. Die Politik war damals nicht in der Lage, die politische Verantwortung für den Zusammenhalt der EU zu übernehmen und überließ diese Aufgabe der EZB.

Wegen der nachhaltigen Untätigkeit der Politik sei die EZB zu einem „Ersatz-Wirtschaftsministerium“ mutiert, bekannte vor einigen Jahren der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel.[3] Das gilt auch für die Fiskalpolitik, denn die EZB sichert die Finanzierung der Staatshaushalte. Der Rückzug der Politik aus der Bewältigung der wirtschaftlichen Dauerkrise, die auch die politische Stabilität der Eurozone gefährdet, hat die EZB genötigt, ihr Mandat – wie das Verfassungsgericht völlig zurecht feststellt – durch „selbstbestimmte, schleichende Kompetenzerweiterung“ kontinuierlich auszuweiten. Sie tut dies, obwohl sie im Rahmen dieses selbstdefinierten Mandats keinerlei demokratischer Kontrolle unterliegt. Aus demokratischer Perspektive ein inakzeptabler und unhaltbarer Zustand. Die EZB ist so überladen mit Aufgaben außerhalb ihrer eigentlichen Verantwortung – die Geldwertstabilität zu wahren –, dass sie diese Funktion kaum mehr glaubwürdig erfüllen kann und durch ihr politisches Handeln Vertrauen in ihre Neutralität einbüßt.

Überladung der EZB

Dadurch ist die EZB in den letzten Jahren immer mehr in die Schusslinie geraten und nun auch zum Gegenstand der Überprüfung durch die Verfassungsrichter. Die problematischen Nebenwirkungen des von ihr verantworteten, wirtschaftspolitischen Krisenmanagements zeigen sich immer deutlicher. Die Erosion des Vertrauens geht sogar von ihrem eigenen obersten Entscheidungsgremium aus. Vor seinem Abtritt als EZB-Präsident gelang es Mario Draghi nicht mehr, konsensuale Entscheidungen im Rat der EZB herbeizuführen. Der Dissens wurde – ungewöhnlich für das Organ – sogar öffentlich, als der EZB-Rat in Anbetracht der herannahenden Rezession im September 2019 entschied, die Zinsen für Einlagen der Banken von -0,4 auf -0,5 Prozent weiter abzusenken und das 2,6 Billionen Euro schwere Anleihekaufprogramm um 20 Milliarden Euro pro Monat aufzustocken. Die EZB sei über „das Ziel hinausgeschossen“, kommentierte nicht nur Bundesbankpräsident Jens Weidmann öffentlich. Aber auch bereits davor rumorte es. Ohne Weidmann namentlich zu nennen, hatte Draghi den Bundesbankpräsidenten wenige Zeit davor für öffentliche Kommentierungen von EZB-Entscheidungen kritisiert, da er sie auf diese Weise politisiere.

Für die EZB entstand eine zusätzliche Belastung, weil die von der Geldpolitik ausgehenden stimulierenden Effekte zunehmend verblassten. Die erneute Aufnahme der Anleihekäufe und die schon am unteren Limit befindlichen Zinsen machten deutlich, dass die EZB ihr Pulver zur konjunkturellen Belebung verschossen hatte. An einen geldpolitisch angetriebenen Aufschwung war nicht mehr zu denken. Den politischen Entscheidungsträgern wurde zudem klar, dass der EZB sogar die Mittel fehlten, ein Abgleiten der herannahenden Rezession in eine Wirtschaftskrise größeren Ausmaßes zu verhindern. Aus diesem Grund brachte Bundesfinanzminister Olaf Scholz schon damals die Fiskalpolitik in Stellung. Der Staat werde mit „vielen, vielen Milliarden“ und „gelebtem Keynesianismus“ auf eine Krise regieren.[4]

Nebenwirkungen der Geldpolitik

Da die EZB ihre magische Fähigkeit, zu wirtschaftlicher Belebung beizutragen, schon seit Jahren eingebüßt hat, gerieten die erkennbaren Nebenwirkungen der Geldpolitik stärker in die Diskussion. Diesen Faden haben nun die Verfassungsrichter aufgenommen und sogar aufnehmen müssen, um nicht sich nicht selbst dem Vorwurf auszusetzen, die öffentlich stärker problematisierte Rolle der EZB zu ignorieren.

Sie führen eine ganze Latte von Folgen des PSPP auf. Es verbessere die Finanzierungsbedingungen der Staaten sowie die Bonität der Banken. Es habe Auswirkungen auf Aktionäre, Mieter, Immobilieneigentümer, Sparer und Versicherungsnehmer. Zudem würden „wirtschaftlich an sich nicht mehr lebensfähige Unternehmen“ aufgrund des abgesenkten Zinsniveaus dennoch überleben. Die negativen Effekte nähmen mit wachsendem Umfang und fortschreitender Dauer der Anleihekäufe zu, so dass das Anleihekaufprogramm „immer weniger ohne Gefährdung der Stabilität der Währungsunion“ beendet und zurückgeführt werden könne. Das Anleihekaufprogramm fährt sich also nach Auffassung der Verfassungsrichter in einer wirtschaftspolitischen Sackgasse fest.

Stabilisierung und Sklerose

Die wirtschaftlich und sozial entscheidendste Nebenwirkung der Niedrigzinspolitik liegt in der von den Verfassungsrichtern erwähnten Problematik, dass dadurch unprofitable Unternehmen dauerhaft am Leben erhalten werden. Die Geldpolitik der EZB ist darauf ausgerichtet, die schwächsten Unternehmen vor dem Untergang zu bewahren. Sie setzt damit in sehr ausgeprägter Form die seit Jahrzehnten dominierende Stabilitätsorientierung staatlicher und supranationaler EU-Institutionen um. Das Ziel ist es, eine aus dem Untergang von Unternehmen herrührende wirtschaftliche Destabilisierung möglichst zu unterbinden und somit größtmögliche wirtschaftliche, soziale und auch politische Stabilität zu gewährleisten.

Das Risiko einer derartigen Destabilisierung ist sehr real, da sich die europäische Wirtschaft seit der Finanzkrise 2008 kaum erholt hat. Immer mehr Unternehmen hängen am Zinstropf der EZB und halten sich so über Wasser. Ihr Überleben hängt zudem von staatlichen Subventionen, Steuersenkungen oder staatlicher Regulierung ab, die ihnen gegenüber Wettbewerbern Vorteile verschaffen. Die Vielzahl geschwächter Unternehmen und die in Europa kaum mehr erkennbare Fähigkeit der Unternehmen, große technologische Innovationen durchzusetzen, nährt die Befürchtung, dass eine Veränderung dieser Rahmenbedingungen zu Unternehmenszusammenbrüchen und folgenschweren Krisen führen könnte.

Indem jedoch bestehende Unternehmen und noch dazu die schwächsten unter staatlichem und geldpolitischem Schutz stehen, können sich neue Wettbewerber kaum durchsetzen, eine zunehmende Anzahl unprofitabler Unternehmen kann sich halten. Die Wirtschaft leidet an insgesamt niedriger Profitabilität was ihre Fähigkeit schwächt, risikoreiche und teure disruptive Technologien einzuführen und so für Arbeitsproduktivitätssteigerungen und gutbezahlte Jobs zu sorgen. Es ist ein Teufelskreis entstanden, in dem der Schutz der schwächsten Unternehmen Priorität genießt, dies die Wirtschaft insgesamt schwächt und anschließend noch mehr stabilisierende und schützende Maßnahmen nach sich zieht. Die Folge dieses Teufelskreises ist ein seit Jahrzehnten rückläufiges Wachstum der Arbeitsproduktivität. Inzwischen erreichen die europäischen wie auch die deutschen Unternehmen keine Produktivitätsfortschritte mehr, die wirtschaftliche Quelle für steigende Reallöhne ist somit versiegt.

Unbeirrt weiter wie bisher

Es ist bezeichnend, dass die Bundesregierung und die sie stützenden Abgeordneten der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion von dieser im Urteil angesprochenen Demokratie- und Wohlstandsaushöhlung nichts wissen wollen. Schnell gab Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) die Interpretationslinie vor. Er hob hervor, wie sehr das Urteil die Position der Bundesregierung stütze und die Richtigkeit der EZB-Programme belege. Zudem stellte er heraus, dass die EZB im Einklang mit dem Grundgesetz handele. Das Verfassungsgericht habe ja in seinem Urteil festgestellt, dass die die Anleihekäufe „keine monetäre Staatsfinanzierung“ darstellten. Die von den Richtern geforderte Verhältnismäßigkeitsprüfung auch des aktuellen Kaufprogramms werde sicherlich in der gesetzten Frist erfolgen, so dass der Beteiligung der Bundesbank jetzt und in Zukunft nichts entgegenstehe.[5]

Die Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU und SPD pflichteten ihm in einer von der AfD beantragten aktuellen Stunde des Bundestags bei. So fand Heribert Hirte (CDU) im Urteil das bisherige parlamentarische Handeln als richtig bestätigt. Dessen „wesentlicher Punkt“ sei, dass es keinen „Verstoß gegen das geldpolitische Mandat gebe“. Das BVG habe lediglich bemängelt, „dass die Begründungszusammenhänge nicht so sind […], dass das nachvollziehbar ist, was in der Europäischen Zentralbank gemacht wird“.[6] Auch Andreas Schwarz (SPD) betonte, er sei sich „sicher, dass es der EZB gelingt, die Verhältnismäßigkeit zufriedenstellend zu begründen“.[7]

Diese Interpretation des Urteils zeigt, dass CDU/CSU und SPD die immer offensichtlicher werdenden und spürbaren Nebenwirkungen des EZB-Handels einfach abtun. Das liegt im Wesentlichen daran, dass sich die Handlungsorientierung der EZB mit den eigenen Auffassungen deckt. Wirtschaftliche und politische Stabilisierung ist die oberste Prämisse, selbst wenn die Aushöhlung von Wohlstand und Demokratie voranschreiten.

Das Handeln der EZB ist für die politisch Verantwortlichen besonders attraktiv, weil eine der Hauptwirkungen darin besteht, eine allgemeine Wohlstandsillusion zu schaffen. Das viele billige Geld sorgt dafür, dass die Vermögenspreise steigen, die Sozialstaaten finanzierbar bleiben, die Verschuldung steigt und dies zusätzlichen Konsum und Nachfrage ermöglicht. Obendrein werden die Unternehmen entlastet, die sich billiger oder – trotz mangelhafter Profitabilität – überhaupt noch finanzieren können. Der EZB gelingt es zwar nicht, die zugrundeliegenden wirtschaftlichen Probleme zu lösen, sie vermag diese aber zu verwalten und sie zuverlässig in die Zukunft zu verschieben.

Die Corona-Krise ist sozusagen der ideale Feind, mit der es die Politik wohl auch weiterhin vermeiden kann, sich einem längst fälligen Realitätscheck zu stellen. Erneut wird die EZB nun zur maßgeblichen Retterin einer geschwächten Wirtschaft in höchster Not, so dass alle Nebenwirkungen vernachlässigbar werden. Das hat die Regierungskoalition mit ihrer Bewertung des Verfassungsgerichtsurteils sehr deutlich gemacht.

Lieber unterstützen sie nun die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen[8], die die geöffnete Büchse der Pandora schnellstmöglich schließen will, indem sie versucht, mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegenüber Deutschland die Politisierung der Wirtschaftspolitik wieder einmal zu unterbinden. Dann wird es erstmal so weitergehen wie bisher. Das ließ die EZB-Präsidentin Christine Lagarde gleich nach dem Urteilsspruch verlauten. Die EZB sei eine unabhängige Institution mit einem klaren Mandat. Sie sei nicht etwa deutschen Institutionen, sondern nur dem Europäischen Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig und unterliege der Rechtsprechung des EuGH. Daher werde die Zentralbank „unbeirrt“ auch „weiterhin tun, was immer nötig ist, um dieses Mandat zu erfüllen“. [9] Wie die F.A.Z. berichtet, sehe Lagarde zudem die Vertragsdetails, die Gegenstand des BVG-Urteils waren, als inzwischen ohnehin überholt an. Die Politik der EZB habe sich weiterentwickelt.[10] Stimmt: Schließlich hatte Lagarde letztes Jahr bereit angekündigt, dass sie zukünftig auch Klimapolitik machen werde.

[1] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/bvg20-032.html

[2] „Schäuble: EZB-Urteil gefährlich“ in:  F.A.Z., 09.05.2020, S. 4.

[3] „Gabriel sieht EZB-Politik am Ende“, Stuttgarter Nachrichten online, 20.04.2016.

[4] „Mit vielen, vielen Milliarden gegenhalten“, Spiegel online, 10.09.2019.

[5] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/schaeuble-zu-ezb-urteil-unausweichlich-aber-auch-gefaehrlich-16760195.html

[6] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw19-de-aktuelle-stunde-ezb-694532

[7] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw19-de-aktuelle-stunde-ezb-694532

[8] https://www.rnd.de/politik/ezb-urteil-durch-verfassungsgericht-deutschland-steckt-in-der-bredouille-4S5FEBWEVVCDXHSXEPX4WSRWXU.html

[9] https://de.reuters.com/article/virus-ezb-lagarde-idDEKBN22J2IE

[10] „Schäuble: EZB-Urteil ist auch gefährlich“ in: F.A.Z., 09.05.2020, S.1.

Photo: National Cancer Institute from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre.

Ein zuverlässig funktionierendes Gesundheitssystem in „normalen Zeiten“ ist Grundvoraussetzung, um mit den Folgen einer Pandemie umgehen zu können. Wie gut Deutschland und andere Länder im Speziellen für eine Pandemie gerüstet sind, untersucht eine Studie von Wissenschaftlern der Johns Hopkins Universität aus dem Jahr 2019. Deutschland belegt im Gesamtranking Platz 13 von 195.

Die Corona-Pandemie stellt die Gesundheitssysteme auf der ganzen Welt vor eine nie gekannte Belastungsprobe, auch das deutsche. In einigen Kommentaren ist zu lesen, das deutsche Gesundheitssystem sei schlecht vorbereitet, weil es „25 Jahre lang kaputt gespart“ und die Bettenkapazität reduziert worden sei. Wie gut ist das Gesundheitssystem hierzulande aufgestellt? Internationale Daten lassen darauf schließen, dass das deutsche System bei all seinen Schwächen vergleichsweise gut auf Pandemien vorbereitet ist.

Das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich

Ein erkenntnisreicher allgemeiner Vergleich von Gesundheitssystemen über Landesgrenzen hinweg ist schwierig. Zum einen unterscheiden sich die gesundheitspolitischen Strukturen mitunter erheblich. Zum anderen sind aktuelle vergleichende Untersuchungen rar. Der letzte große systematische Vergleich der Weltgesundheitsorganisation stammt aus dem Jahr 2000. Dieser Untersuchung nach war das französische Gesundheitssystem damals insgesamt das beste der Welt, gefolgt von Italien. Deutschland belegte laut WHO Platz 25 von 191 untersuchten Ländern.

Eine deutlich jüngere allgemeine Untersuchung des Commonwealth Fund, einer Stiftung die sich seit 1918 für eine bessere Gesundheitsversorgung einsetzt, stammt aus dem Jahr 2017. Untersucht wurden elf Industrieländer. Deutschland schafft es nur auf den 8. Platz der Untersuchung, die Länder anhand von 72 Indikatoren in den Bereichen Versorgungsprozess, Zugang zum Gesundheitssystem, Verwaltungseffizienz, Gerechtigkeit und Versorgungsergebnisse bewertete. An der Spitze stand Großbritannien gefolgt von Australien. Kanada, Frankreich und die USA belegten die hinteren Ränge.

Die jüngsten und umfangreichsten Ergebnisse liefert der Prosperity Index vom Londoner Think Tank Legatum Institute aus dem Jahr 2019. Dieser Index erfasst die Entwicklung des Wohlstands in 167 Ländern anhand von zwölf Kategorien wie Bildung, Umwelt, persönliche Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und auch Gesundheit. Im Bereich Gesundheit liegt Deutschland auf Platz 12 von 167 Ländern. Ganz vorne liegen Singapur und Japan. Italien belegt Platz 17.

Die bisher vorgestellten Untersuchungen bewerten Gesundheitssysteme im Allgemeinen. Das deutsche Gesundheitssystem schneidet dabei ähnlich gut ab wie Gesundheitssysteme anderer Industrieländer.

Pandemievorsorge in Deutschland

Ein zuverlässig funktionierendes Gesundheitssystem in „normalen Zeiten“ ist Grundvoraussetzung, um mit den Folgen einer Pandemie umgehen zu können. Wie gut Deutschland und andere Länder im Speziellen für eine Pandemie gerüstet sind, untersucht eine Studie von Wissenschaftlern der Johns Hopkins Universität aus dem Jahr 2019. Im Spitzenfeld und damit am besten vorbereitet sind vor allem westliche Industrieländer, mit Ausnahme Thailands, das den 3. Platz belegt. Deutschland belegt im Gesamtranking Platz 13 von 195.

Besonders interessant ist das Abschneiden Deutschlands in den Unterkategorien. Der Gesamtindex ist in sechs Teile gegliedert, in denen jeweils maximal 100 Punkte erreicht werden können.

Der erste Bereich umfasst die Prävention. Dort fließt ein, wie gut die Entstehung und Freisetzung von Krankheitserregern unterbunden wird, etwa durch Impfungen aber auch die Sicherheit von biomedizinischen Laboren.

Der zweite Bereich, der gemäß der Untersuchung eine der Stärken Deutschlands gemäß der Untersuchung ist, analysiert die Entdeckung und das Reporting von Risiken und Krankheitsfällen. Es lohnt ein genauerer Blick: Das dezentrale deutsche Laborsystem sticht hervor. Dieses erhält 100 von 100 möglichen Punkten und belegt in der Untersuchung international den ersten Platz. Ebenso erreicht Deutschland dank des Electronic Surveillance System for Infectious Disease Outbreaks (SurvNet), welches das Robert Koch Institut im Jahr 2001 einführte, 100 Punkte bei der Bereitstellung seuchenrelevanter Daten im Bereich Mensch, Tier und Umwelt. Dieses System ermöglicht die Datenerfassung durch die lokalen Gesundheitsbehörden und die elektronische Übermittlung an das Robert Koch Institut.

Im dritten Indikatorbereich, schnelle Reaktion, liegt Deutschland nur im oberen Mittelfeld. Während in diesem Bereich die Kommunikation der Risiken in keinem anderen Land der Welt besser bewertet wird, erhält Deutschland im Bereich der Vernetzung von Gesundheits- und Sicherheitsorganen null Punkte. Zudem erhält Deutschland die Höchstpunktzahl im Bereich Handels- und Reisebeschränkungen, weil es bei vergangenen Epidemien keine weitreichenden Handels- und Reisebeschränkungen aussprach.

In der vierten Kategorie „Gesundheitssystem“ liegt Deutschland mit Platz 22 ebenfalls nur im oberen Mittelfeld. Doch auch hier lohnt ein genauerer Blick. Im Bereich der Krankenhauskapazitäten liegt Deutschland auf Platz 1 weltweit. Dieser Befund widerspricht der Wahrnehmung, dass in den vergangenen Jahren, zumindest im internationalen Vergleich, Krankenhauskapazitäten zu stark gesunken seien. Relativ schlecht, nämlich mit 0 Punkten, schneidet Deutschland bei der Kommunikation mit Beschäftigten im Gesundheitssystem während einer Krise ab. Ebenso schneidet Deutschland mit Platz 47 im Bereich der Fähigkeit, neue Medikamente zuzulassen, relativ schlecht ab. So schreiben die Forscher, dass es in Deutschland keine Pläne für die beschleunigte Zulassung von Medikamenten während einer Pandemie gebe. Vielmehr lehne das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Pläne der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Beschleunigung der Zulassung neuer Medikamente ab.

Die fünfte Kategorie zeigt an, inwieweit Deutschland sich internationalen Gesundheitsstandards verpflichtet hat und diese umsetzt. Die sechste Kategorie erfasst das Gesamtrisiko eines Landes von einer biologischen Bedrohung heimgesucht zu werden.

Insgesamt zeigt sich, dass gemäß des Global Health Security Index Deutschland in einigen Bereichen Aufholbedarf hat. Insbesondere bei der Kommunikation und Vernetzung sowie bei der schnellen Zulassung neuer Medikamente. Allerdings offenbaren die Ergebnisse auch einige Stärken, die während der aktuellen Corona-Pandemie von großer Bedeutung sind. Zum einen war Deutschland vor der Krise Spitzenreiter bei der Möglichkeit, Tests durchzuführen. Zum anderen verfügte Deutschland über überdurchschnittliche Kapazitäten in den Krankenhäusern.

Viele Intensivbetten

Für die Bewältigung der Corona Pandemie sind nicht nur die Gesamtkapazitäten der Krankenhäuser entscheidend, sondern auch wie viele Intensivbetten zur Verfügung stehen. Die OECD hat jüngst für 10 ausgewählte Mitgliedsländer unterschiedlich aktuelle Daten bezüglich der Intensivbettenkapazitäten veröffentlicht.

Im Durchschnitt verfügten die Gesundheitssysteme der ausgewählten Länder über 15,9 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner. Am geringsten war die Intensivbettenzahl in Dänemark und Irland. Die höchste Anzahl pro 100.000 Einwohner wies Deutschland mit 33,9 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner auf, gefolgt von Österreich mit knapp 29.

Möglicherweise relativiert die demographische Situation Deutschlands den Ausstattungsgrad mit Intensivbetten. Ältere benötigen häufiger eine intensivmedizinische Behandlung als jüngere Menschen. Ein Blick auf die Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, die älter als 65 Jahre sind, zeigt, dass unter den berücksichtigten Ländern nur die USA mit 161 Intensivbetten pro 100.000 älteren Einwohnern über mehr Intensivbetten verfügten als Deutschland mit 157,9.

Gut vorbereitet, aber gut genug?

Das deutsche Gesundheitssystem gehört in „normalen Zeiten“, bei all seinen Schwächen, zu einem der besten der Welt. An einigen Stellen ist Deutschland auch für eine Epidemie gut aufgestellt: Intensivkapazitäten in Krankenhäusern und Tests. Ob das reichen wird, um dramatische Verhältnisse in Krankenhäusern wie in Italien zu verhindern, hängt zum einen davon ab, wie gut innerhalb kurzer Frist zusätzliche Ressourcen in die intensivmedizinische Versorgung verlagert werden können und zum anderen davon, wie gut die Verbreitung durch „Social Distancing“ und Testen eingedämmt werden kann. Schließlich sollten die regulatorischen Hürden für neue Arzneimittel und Impfstoffe auf den Prüfstand gestellt werden. Jeder Tag zählt.

Erstmals erschienen bei IREF.