Photo: John Lindie on Wikimedia Commons (CC0)

Von Matthias Still. Unternehmer und PR-Berater, Fackelträger bei Prometheus.

„Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“, sagte einst Mark Twain, spitzfindig wie der alte Haudegen nun einmal war. Aber recht hat er. Es ist alles andere als einfach, vorherzusehen, wie die Zukunft wird. Denn das würde bedeuten, heute schon zu wissen, was 7,63 Milliarden Menschen morgen machen. Und das ist eine echte Mammutaufgabe, denn die allermeisten dieser Menschen machen eben das, was sie wollen. Und nicht das, was wir von ihnen erwarten. Und das macht alles so kompliziert.

Allerdings hat diese Tatsache im Laufe der Geschichte Menschen noch nie davon abgehalten, mutige Prognosen zur Zukunft zu treffen: Das gilt für das eigene Leben („Oh nein, ich werde das nie schaffen!“) genauso wie für die große weite Welt („Das globale Wirtschaftswachstum wird um 0,2 Prozentpunkte einbrechen“). Warum ist das so? Weil der Blick in die Glaskugel Menschen seit jeher fasziniert. Gewissheit zu erlangen über all das, was eigentlich ungewiss ist, bedient unser Bedürfnis nach Sicherheit. Und verleiht Macht – zumindest denjenigen, die glaubhaft darlegen können, zu sagen, was morgen sein wird. Zu früheren Zeiten waren das oft Freiberufler aus Branchen wie der Hellseherei und der Wahrsagerei. Heute bemühen sich Wissenschaftler durch allerlei Rechenmodelle, den zukünftigen Ereignissen etwas zuverlässiger auf die Spur zu kommen. Und, zugegeben, gewisse Annäherungen an das was kommt, lassen sich dabei durchaus erzielen.

Aber man kann auch ganz schön danebenliegen. Ein berühmtes Beispiel dafür sind die Annahmen zur exponentiellen Zunahme von Pferdemist auf den Straßen von New York. Die Ausscheidungen der Vierbeiner machten den Stadtplanern der größten amerikanischen Metropole im Jahr 1850 ordentlich Sorgen. Damals wurde es immer populärer, mit der Kutsche zu reisen. Gleichzeitig stieg die Einwohnerzahl der Stadt rasant an: Von gemütlichen 60.000 im Jahr 1800 hatten sich die New Yorker vierzig Jahre später auf über 300.000 verfünffacht (die Wachstumsrate heutiger afrikanischer Großstädte ist dagegen eine Pfadfinderparty).

So war es also nicht von der Hand zu weisen, dass – rein mathematisch betrachtet – bei anhaltendem Bevölkerungswachstum und weiter wachsender Beliebtheit der Kutschfahrten New York exakt im Jahr 1910 in meterhohem Pferdemist ersticken würde, so die Vorhersagen. Doch dann kam es ganz anders: Zwar wuchs New York weiterhin im atemberaubenden Tempo und hatte an der Schwelle zum 20. Jahrhundert schon über drei Millionen Einwohner – doch die interessierten sich ganz und gar nicht für Kutschfahrten, sondern für das Automobil. Henry Ford ließ 1908 das erste Auto vom Fließband rollen und legte damit den Grundstein für den PKW als Massenprodukt. Die Pferdestärken auf vier Rädern ersetzten die bisherigen Pferdestäken auf vier Beinen. 1850 allerdings konnte das noch keiner ahnen.

Heute, mehr als 100 Jahre später, blicken wir auf das „Klimapaket“ der Großen Koalition. Auch da geht es um Fortbewegung, allerdings um die mit dem Auto (zumindest derzeit liege noch keine Pläne vor, aus Gründen der CO2-Emissionen wieder auf das Pferd umzurüsten). CDU, CSU und SPD wollen die Welt vor der Erwärmung retten und setzen in Sachen Mobilität ganz und gar auf den Elektroantrieb. Das Elektroauto pustet kaum CO2 in die Atmosphäre und soll deshalb bis zum Jahr 2030 möglichst in 10 Millionen deutschen Garagen stehen. Dafür gibt der Bund Milliarden aus: Allein eine Million Ladestationen soll es zukünftig geben (das entspricht etwa einer Station für 10 E-Autofahrer!). Und der Umstieg vom guten alten Verbrennungsmotor auf das Elektrofahrzeug soll mit üppigen Prämien subventioniert werden.

Diese Ziele mögen im Hinblick auf die Gesundung des Weltklimas ehrenwert sein, sie stoßen allerdings in der Realität gleich zweifach an ihre Grenzen: Der Autofahrer, dieser Wicht, macht schon hier und heute nicht das, was er soll. Denn bereits für das Jahr 2020 hatte sich die Bundesregierung gewünscht, dass gefälligst eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen fahren. Doch tatsächlich sind es Ende 2019 gerade einmal 150.000. Denn leider halten die vergleichsweise hohen Anschaffungskosten die breite Masse der Bevölkerung immer noch von einem Kauf ab.

Doch was viel wichtiger ist: Der Elektroantrieb erscheint uns heute, im Jahr 2019, als ökologisch sinnvoll. Deshalb wird er mit Milliardenbeträgen gefördert. Doch genau damit gelangen andere, alternative Antriebe ins Hintertreffen. Denn die E-Mobilität ergattert sich durch die Steuermilliarden einen Wettbewerbsvorteil im Vergleich zu Brennstoffzelle, synthetischen Kraftstoffen, Autogas oder anderen Antriebsarten, die wir noch gar nicht kennen. In dem Moment, in dem die Bundesregierung üppige Subventionen für die Weiterentwicklung des Elektroautos in Aussicht stellt, lohnt sich der Aufwand nicht mehr, an Wasserstoff & Co. zu forschen. Es werden massive Anreize in eine bestimmte Richtung gesetzt. Ob dies richtig ist oder nicht, wird erst die Zukunft zeigen.

Mit dem Problem, dass Politiker oft Entscheidungen treffen, hinter denen äußerst ungewisse Annahmen stehen, beschäftigte sich bereits der Ökonom Friedrich August von Hayek (1899-1992). Der Wirtschaftsnobelpreisträger sprach in diesem Zusammenhang von einer „Anmaßung von Wissen“. Politiker können in den allermeisten gesellschaftlichen Fragen gar nicht wissen, was morgen passiert. Klüger wäre es deshalb, es dem Markt – und damit der Weisheit der Vielen – zu überlassen, welche Lösungen für ein Problem gefunden werden. Beim Automobil würde dies bedeuten, keine bestimmten Antriebsarten zu bevorzugen, sondern stattdessen alle Technologien den gleichen Wettbewerbsbedingungen zu unterziehen: Beispielsweise durch eine einheitliche Steuer auf den CO2-Ausstoß oder durch den Handel mit entsprechenden Zertifikaten.

Bis es soweit ist, dürfen wir gespannt verfolgen, ob die Bundeskanzlerin und ihr Kabinett in der Prognosefähigkeit ähnlich treffsicher sind wie die New Yorker Stadtplaner im Jahr 1850.

Photo: Yann Forget on Wikimedia Commons (CC0)

Der Hauptgrund für das Ende der DDR spielt im öffentlichen Bewusstsein kaum noch eine Rolle: Der Sozialismus war bankrott und gescheitert. Die Lehre daraus: Schluss mit dem Glauben an die Planbarkeit der Wirtschaft.

In der heutigen Zeit ist man des Öfteren überrascht, welche Themen die politische Agenda bestimmen. So war es auch beim Tag der Deutschen Einheit. Beim Festakt am 3. Oktober in Kiel ging es um viele Themen. Selbstverständlich um den Fall der Berliner Mauer, die Grenzöffnung und die Freude der Menschen. Es ging aber auch um „Klimaschutz”, den Kampf gegen Rechts und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Alles sicherlich wichtige Themen.

Doch um eines ging es nicht: Um das Scheitern des Sozialismus. Weder der amtierende Bundesratspräsident Daniel Günther noch die Bundeskanzlerin erinnerten daran. Dabei gehören beide immerhin der CDU an. So ändern sich die Zeiten. Noch 1976 zog die CDU in den damaligen Bundestagswahlkampf mit dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“. Helmut Kohl als Spitzenkandidat erzielte damals 48,6 Prozent der Stimmen.

Trotz allem bewundernswerten Widerstand der Bürger in Kirchen und oppositionellen Kreisen hätte es die Chance der Wiedervereinigung womöglich nicht gegeben, wenn die ökonomische Situation in der Sowjetunion und der DDR nicht so katastrophal gewesen wäre. Der Kapitalstock der DDR war nach 40 Jahren Sozialismus aufgebraucht.

Gerade in Zeiten, in denen der Sozialismus weltweit und auch hierzulande neue Blüten treibt, wäre eine Beschäftigung mit den Gründen des ökonomischen Untergangs der DDR notwendig gewesen, gerade auch für die jüngeren Teilnehmer und Zuschauer. Die DDR ist ökonomisch nicht am Wissen und an der Schaffenskraft seiner Menschen gescheitert, sondern an der sozialistischen Planwirtschaft, an Fünf-Jahres-Plänen und am Irrglauben an die zentrale Lenkbarkeit von Wirtschaftsprozessen.

Die sozialistische Planwirtschaft hat nicht funktioniert. Der Großversuch für die rund 16 Millionen Menschen scheiterte verheerend. Die DDR war das Land mit der höchsten Umweltbelastung in Europa. Die Schadstoffwerte in der Luft erreichten negative Spitzenwerte. 47 Prozent des Wassers waren als Trinkwasser unbrauchbar. Der Verzehr von in der Elbe gefangenem Fisch war aus Gesundheitsgründen verboten. Die staatliche Plankommission stellte in einem internen Papier im Oktober 1989 fest, dass die DDR „kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehe“. Der Verzicht auf neue Kredite aus dem Ausland „würde im Jahr 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25-30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen“.

Die sozialistische Planwirtschaft war und ist undurchführbar. Das liegt daran, dass sie keine Marktpreise kennt. In einer Marktwirtschaft versuchen die Verkäufer, die Kundenwünsche und deren Präferenzen herauszufinden und passen sich entsprechend an. Dies entsteht durch einen Prozess des „Versuchs und Irrtums“ der Marktteilnehmer im Kleinen. Der Sozialismus arbeitet nicht mit Versuch und Irrtum, weil er durch Planung zu wissen glaubt, was richtig ist. Doch weder eine staatliche Plankommission noch eine Regierung haben das Wissen, welches Millionen von Akteuren am Markt haben. Ihre Planung musste daher scheitern. Das Gegenteil zur sozialistischen Planwirtschaft ist die Marktwirtschaft. Sie setzt auf Privateigentum und Arbeitsteilung. Niemand weiß alles, aber das Zusammenspiel aller Marktakteure lenkt das Handeln des Einzelnen dorthin, wo es die Bedürfnisse der Kunden und Verbraucher erfüllt.

Man sollte jedoch nicht dem Irrtum verfallen, dass der Sozialismus mit dem Untergang der DDR verschwunden sei. Vieles, was derzeit in der Klimafrage diskutiert wird, hat mit Sozialismus zu tun. So wird der CO2-Austoß auf Jahrzehnte zentral geplant. Konkret traut sich die Regierung sogar zu, die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren und bis 2050 „klimaneutral“ zu sein. Da wünscht man sich fast die guten alten Fünf-Jahres-Pläne der DDR zurück! Die waren wenigsten zeitlich überschaubar. Man kann sich ja gar nicht vorstellen, was wir heute noch nicht wissen, aber im Jahr 2050 zum Allgemeinwissen gehören wird. Oder anders gesprochen: Man versetze sich einmal in das Jahr 1988 zurück, also vor 31 Jahren, und überlege, welche neuen technischen Möglichkeiten es seither gibt. Damals konnte sich niemand vorstellen, welchen Siegeszug das Internet erfahren sollte und damit unser Leben grundlegend verändern würde. Die Allermeisten konnten sich nicht einmal vorstellen, dass ein Jahr später die Berliner Mauer fällt und es kurze Zeit später zur Wiedervereinigung kommt.

Viele Ansätze der heutigen Klimapolitik sind Sozialismus in Reinkultur. Was von den Bürgern benötigt wird, sagt und plant auch heute der Staat. Ölheizungen gibt es bald nicht mehr und Elektroautos sind das Nonplusultra. Dass dies die richtige Lösung ist, wissen nicht der Markt und seine Teilnehmer, sondern der Koalitionsausschuss aus Union und SPD, quasi als staatliche Planungskommission. Vielleicht ist das auch der Grund, wieso Angela Merkel den Sozialismus als Thema bei ihrer Ansprache beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Kiel ausgespart hat. Zu viel déjà-vu hätte die Feiertagsstimmung wohl eingetrübt.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblicke.

Photo: Tim Malabuyo from Flickr (CC BY-NC 2.0) 

Die große Politik bekommt viel zu viel Aufmerksamkeit von uns allen. Tatsächlich sitzen die wahren Helden unsere Gesellschaft nicht in den Regierungspalästen, sondern in Universitäten und Rathäusern. 

Genug geschimpft 

Alle drei Wochen erhalte ich die Möglichkeit, mich mit der „Großen Freiheit“ an Sie zu wenden. Das ist mir stets eine Ehre und manchmal auch eine Herausforderung. Schließlich ist Ihre Zeit wertvoll und wir sollten diese nur in Anspruch nehmen, wenn wir wirklich etwas zu sagen haben. In dieser Woche nun böte sich eigentlich ein Thema an, das sich wie ein Mantra durch unsere Texte dieses Jahres zieht: Wie konnte es bloß soweit kommen? Und warum hassen sich die Menschen so sehr? Da posaunt ein US-Präsident, er besitze eine große und unübertroffene Weisheit [sic!], während Recep Erdogan mal eben völkerrechtswidrig in Syrien einmarschiert. Und in Berlin blockiert eine gruselige Weltuntergangsprophetensekte die Straßen, um vor unser aller Selbstausrottung zu warnen. Darüber ließe sich trefflich schreiben – und schimpfen. Doch genug damit, das kennen Sie alles längst. Und am Ende nützt den Trumps dieser Welt unsere Aufmerksamkeit doch nur. Neue Helden braucht die Welt! 

Die, auf die es wirklich ankommt 

Sicher, die große Politik besitzt nicht umsonst eine so erdrückende Mediendominanz. Ihre Machtfülle ist gigantisch und in Zeiten von Twitter und Co. sind die Mächtigen unserer Welt uns scheinbar so nah wie nie zuvor. Nicht mehr die gefilterten und aufbereiteten Beiträge in Tageszeitungen und Nachrichtensendungen bestimmen den Rhythmus und die Themen der politischen Öffentlichkeit, sondern die erratischen und anarchischen sozialen Medien. Und diejenigen, denen wir zujubeln oder über die wir uns ereifern, brauchen unsere Aufmerksamkeit wie die Luft zum Atmen. Mit jedem Leitartikel, jeder gut gemeinten Erwiderung geben wir dem lodernden Feuer des Populismus nur mehr Sauerstoff. Zeit also, um einmal einen Schritt zurückzutreten und zu fragen: Auf wen kommt es eigentlich wirklich an in unserer Gesellschaft? 

Machtfülle hin oder her – bis auf wenige Ausnahmen (und Kriege gehören definitiv dazu) wird unser Leben nicht in Berlin oder Washington, London oder Ankara bestimmt. Und das sollte es auch nicht. Die großen Gestalter und Antreiber unseres Zusammenlebens wirken nicht in prächtigen Regierungspalästen. Sie arbeiten in vorstädtischen Forschungsinstituten, hässlichen Rathäusern aus den 70ern und hippen, aber überfüllten Berliner Couch-Büros. Sie machen keine Gesetze, sondern entwickeln neue Medikamente und Technologien, planen Bushaltestellen oder setzen sich für dafür ein, dass Menschen überall auf der Welt in Sicherheit und ohne Armut leben können. Es sind die vielen Wissenschaftler und Erfinder, Bürgermeister und engagierten Weltverbesserer, auf die es wirklich ankommt. Sie haben für die wunderbare Revolution gesorgt, die vielen heutigen Bürgern einen Lebensstandard ermöglicht, von dem die großen Könige vergangener Jahrhunderte nur träumen konnten.  

Die großen und kleiner Helden unserer Welt 

In dieser Woche ist es wieder soweit. Einmal im Jahr erhalten die großen Entdecker unserer Zeit für eine Sekunde die ganz große Öffentlichkeit. Bis dato nur Eingeweihten und Nerds Bekannte erhalten Nobelpreise für zumeist atemberaubende Entdeckungen und Erfindungen. So könnte sich das „Klimakabinett“ noch so lange auf den Kopf stellen – ohne die Erfindung des Lithium-Ionen-Akkus durch die diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger John B. Goodenough, M. Stanley Whittingham und Akira Yoshino würde vermutlich kein einziges Elektro-Auto über unsere Straßen rollen. Und die diesjährigen Medizin-Nobelpreisträger William Kaelin, Peter Ratcliffe und Gregg Semenza werden mit ihrem Beitrag zur Zellforschung höchstwahrscheinlich mehr Krebspatienten retten, als alle Gesundheitsminister zusammen. Und das Beste daran: Das ist nur die Spitze des Eisbergs: weltweit arbeiten gerade Millionen von Wissenschaftlern und Erfindern daran, ihren Beitrag zum menschlichen Fortschritt zu leisten.  

Doch es muss nicht immer die ganz große Bühne sein. Auch bei Ihnen um die Ecke wird Weltpolitik betrieben – zumindest für Ihre ganz persönliche Alltagswelt. Da sitzen Gemeinderäte, ehrenamtliche Ortsteilbürgermeister und Landräte zusammen. Diesen Menschen geht es in den seltensten Fällen um Politik in jenem Sinne, in dem sie auf den großen nationalen, europäischen oder globalen Bühnen betrieben wird. Hier geht es um Politik im eigentlichen oder altgriechischen Sinne. Also um Fragen des Gemeinwesens, die „die Stadt betreffen“ (wohlgemerkt handelte es sich beim antiken Athen um eine Stadt mit einigen zehntausend Einwohnern). Es sind Menschen wie der ehemalige Bürgermeister des kleinen Westerwälder Dörfchens Windhagen, Josef Rüddel. Dieser machte die Gemeinde in seiner über fünfzigjährigen [sic] Amtszeit von einem der ärmsten Dörfer zu einer wohlhabenden Gemeinde, die heute doppelt so hohe Gewerbesteuereinnahmen pro Kopf erwirtschaftet wie München.  

Wir alle können Helden sein 

Ich gebe zu: Bis heute hatte ich weder von den genannten sechs Nobelpreisträgern noch von Josef Rüddel je auch nur gehört. Und wenn Ihnen das auch so geht, dann habe ich mit meiner Kolumne in dieser Woche mehr erreicht als je zuvor. Es sind diese Menschen, die uns eine Inspiration sein und deren Geschichten wir erzählen sollten. Menschen, die durch ihr Wirken echte Verantwortung für sich und ihre Mitmenschen übernommen haben. Das beste Mittel, um das Feuer des lodernden Populismus zu löschen, ist schließlich nicht, sich selbst jeden Tag aufs Neue zu echauffieren. Das beste Mittel ist, uns bewusst zu machen, dass es den Menschen auf dieser Welt noch nie so gut ging wie uns heute. Nutzen wir dieses Privileg und machen unsere Welt noch besser: In unseren Kommunen, in Vereinen und Wohltätigkeitsorganisationen, durch unsere Arbeit und unseren Umgang miteinander. Neue Helden braucht die Welt – lassen Sie uns versuchen, einer davon zu werden.

Photo: Dorotheum from Wikimedia Commons (CC 0)

Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Weshalb ging die Reformation von Deutschland aus, und weshalb erfasste sie als nächstes die Schweiz und die Niederlande? Weshalb gelang die Reformation nicht schon vorher in Großstaaten wie Frankreich oder England, obwohl es dafür durchaus Ansätze gab? Die Katharer in Frankreich wurden regelrecht ausgerottet, und John Wycliffe in England wurde von der englischen Kirche zum Ketzer erklärt. Der deutsche Sprach- und Kulturraum war für die Reformation “prädestiniert”, weil er nicht in einem Großstaat vereint, sondern politisch fragmentiert war. Reformatoren, die verfolgt wurden, konnten sich relativ leicht im selben Sprach- und Kulturraum in Sicherheit bringen oder – wie Martin Luther – in Sicherheit gebracht werden. Die Grenze war nicht weit, und die Aussicht, anderswo in einer ähnlichen Umgebung leben und wirken zu können, ermutigte die religiösen Querdenker, gegen die herrschende Lehre und Kirche zu protestieren. Anders als 1415, als Jan Hus in Konstanz auf dem Scheiterhaufen endete, war diesmal auch der Zeitpunkt günstig, denn der katholische Kaiser wurde von 1521 bis 1544 in fünf Kriege mit dem französischen König verwickelt, der sich mit aller Kraft und ohne religiöse Scheuklappen gegen die habsburgische Umklammerung zur Wehr setzte, und 1529 standen die Türken vor Wien!

Man kann sich fragen, weshalb nicht auch das politisch fragmentierte Italien für die Reformation prädestiniert war. Im 15. Jahrhundert hatten die humanistischen Freigeister in einigen der italienischen Stadtstaaten Schutz vor der Inquisition gefunden. Aber die Reformation wurde von keinem italienischen Herrscher unterstützt. Die wenigen italienischen Reformatoren, die es gab, flohen in die Schweiz und nach Süddeutschland oder wurden in Rom hingerichtet. Zwei Erklärungen drängen sich auf. Zum einen ist das römische Papsttum eine italienische Institution, auf die die Italiener zu allen Zeiten stolz waren. Anders als in Deutschland wäre man in Italien kaum auf die Idee gekommen, dem Papsttum die Existenzberechtigung abzusprechen. Zum anderen wurden die Zustände, die damals im Vatikan herrschten, wahrscheinlich von den meisten Italienern nicht als so skandalös empfunden wie von den strengen Deutschen, Schweizern und Niederländern.

Dass die politische Fragmentierung des deutschen Sprach- und Kulturraums die Reformation ermöglichte, weil sie den Verfolgten Zuflucht bot, ist eine plausible Hypothese, aber lässt sie sich auch empirisch belegen? Sind tatsächlich innerhalb des deutschen Sprach- und Kulturraums zahlreiche Reformatoren durch Flucht in ein anderes Herrschaftsgebiet der Verfolgung entgangen?

Um diese Frage zu klären, habe ich die Biographien der Reformatoren und prominenten Reformationsunterstützer in dem von Klaus Ganzer und Bruno Steimer herausgegebenen “Lexikon der Reformationszeit” (Herder 2002) ausgewertet und die Angaben anhand von Wikipedia überprüft und ergänzt. Ich habe dreizehn solche Fälle gefunden. Die bekanntesten Flüchtlinge sind Ulrich von Hutten und Martin Bucer, der Straßburger Reformator. Zwei flohen zu Luther nach Wittenberg, zwei zu Zwingli nach Zürich. Nicht mitgezählt habe ich diejenigen, die aus dem Gefängnis entkamen, denn diese Möglichkeit war unabhängig von der politischen Fragmentierung. Nicht berücksichtigt habe ich außerdem die zahllosen Theologen, die nicht verfolgt, sondern “nur” ihres Amtes enthoben und/oder ausgewiesen wurden, obwohl auch sie sich wahrscheinlich durch die leichte Verfügbarkeit alternativer Wirkungsstätten ermutigt gefühlt hatten. Vielleicht gilt dies sogar für Martin Luther, obwohl dieser sich nicht selbst in Sicherheit brachte, sondern vom sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen auf der Wartburg versteckt wurde.

Zu unserer Hypothese passt jedoch nicht, dass zehn Reformatoren vorübergehend und vier für den Rest ihres Lebens eingekerkert wurden und dass vierzehn ihren Protest mit dem Leben bezahlten. Auf dem Scheiterhaufen endeten Reformatoren in Heide (1524), Passau (1527), Wien (1528), Köln (1529), Genf (1553) und Overijssel (1580). In Münster wurden 1535/36 vier Wiedertäufer hingerichtet bzw. auf der Stelle getötet. Ohne die politisch ambitionierten Wiedertäufer, die ja den Gottesstaat auf Erden errichten wollten, vermindert sich die Zahl der Hinrichtungen auf sechs. Die Verhaftungen und Hinrichtungen verdeutlichen, wie wichtig es für die Reformatoren war möglichst leicht fliehen zu können, auch wenn dies nicht immer gelang.

Da die Flucht vor Verhaftung in dreizehn Fällen glückte, aber in 28 Fällen (= 10 + 4 + 14) unterblieb, scheint der Befund eher gegen unsere Hypothese zu sprechen, obwohl einige Reformatoren wahrscheinlich bewusst auf die eigentlich mögliche Flucht verzichteten. Aber vielleicht war das Verhältnis der Fluchthäufigkeit zur Zahl der Gefangennahmen und Hinrichtungen in den europäischen Großstaaten noch niedriger? Das Lexikon der Reformationszeit berichtet auch über die Reformatoren und Reformationsunterstützer in den anderen europäischen Ländern, jedoch – soweit ich erkennen kann – weniger detailliert. Die Fallzahlen sind vermutlich nach unten verzerrt. Aber das gilt sowohl für die Fluchthäufigkeit als auch für die Verhaftungen und Hinrichtungen. Die Verzerrung verschwindet, wenn man die Fluchthäufigkeit ins Verhältnis zur Zahl der Verhaftungen und Hinrichtungen setzt – also skaliert.  Da Hinrichtungen eher berichtet werden als Verhaftungen, beschränke ich mich – auch der Einfachheit halber – auf das Verhältnis der Fluchthäufigkeit zur Zahl der Hinrichtungen. Um die Vergleichbarkeit zu verbessern, lasse ich die Hinrichtungen der politisch gefährlichen Wiedertäufer weg. Die resultierende Verhältniszahl bezeichne ich als “relative Fluchthäufigkeit”. Im deutschen Sprach- und Kulturraum beläuft sie sich auf 2,2 (= 13/6).

Für den zu dieser Zeit bereits hochzentralisierten Großstaat Frankreich vermeldet das Lexikon sechs flüchtige Reformatoren und prominente Reformationsunterstützer. Der bekannteste unter ihnen ist zweifellos Jean Calvin, der 1533 von Paris in die Schweiz floh. Das Lexikon nennt namentlich nur drei getötete Reformatoren oder Reformationsunterstützer, schätzt aber die Zahl der in der Bartholomäusnacht (1572)  in Paris umgebrachten Protestanten auf 3.000 bis 4.000. Die Pariser Bartholomäusnacht ist für unsere Hypothese nicht relevant, denn die Opfer des Massakers waren nicht deshalb nicht geflohen, weil dies besonders schwierig gewesen wäre, sondern weil sie eingeladen waren und nicht mit diesem Vertrauensbruch rechneten. Anders war es in der Provinz. Dort wurden laut Lexikon wenig später 5.000 bis 10.000 Protestanten umgebracht. Nicht alle waren Reformatoren oder prominente Reformunterstützer. Die meisten waren einfache Protestanten. Aber selbst wenn unter den Tausenden von Opfern nur hundert Theologen und prominente Reformationsunterstützer gewesen wären, beliefe sich die relative Fluchthäufigkeit in Frankreich auf 0,06 (=6/103) und wäre damit sehr viel niedriger als im deutschen Sprach- und Kulturraum.

Für England nennt das Lexikon ebenfalls sechs gelungene Fluchtversuche, drei unter Heinrich VIII. (vor dessen Bruch mit Rom) und drei unter Maria I., der Katholischen. Drei Flüchtlinge gingen nach Deutschland. Der bekannteste ist der schottische Reformator John Knox, der vor der Flucht in England lebte. Das Lexikon nennt namentlich sechs protestantische Theologen, die hingerichtet (verbrannt) wurden: drei unter Heinrich VIII., drei unter Maria der Katholischen. Das Lexikon berichtet, dass Maria die Katholische darüber hinaus etwa 300 prominente Unterstützer der Reformation hinrichten ließ. Damit ergibt sich eine relative Fluchthäufigkeit von 0,02 (=6/306).

Aus Schottland floh ein Reformator, zwei wurden hingerichtet. Das läuft auf eine relative Fluchthäufigkeit von 0,5 (=1/2) hinaus.

Im Reich der Habsburger – hier ohne Österreich, das ja zum deutschen Sprach- und Kulturraum gehört – gelang siebenmal die Flucht, vier Reformatoren wurden hingerichtet oder fielen einem kirchlichen Attentat zum Opfer (darunter ein Wiedertäufer). Die Flüchtlinge wandten sich nach Genf, Wittenberg, Nürnberg, Paris und London. Als relative Fluchthäufigkeit ergibt sich das Verhältnis 2,3 (=7/3). Das ist geringfügig höher als im deutschen Sprach- und Kulturraum und könnte daran liegen, dass die nicht-österreichischen Besitzungen der Habsburger damals weit über Europa verstreut waren. Verfolgte konnten sich entsprechend leicht in Sicherheit bringen.

Die Ergebnisse für die kompakten europäischen Großstaaten Frankreich und England und für Schottland stützen jedoch unsere Hypothese: Die relative Fluchthäufigkeit war dort wesentlich geringer als im politisch fragmentierten deutschen Sprach- und Kulturraum.

Die von Deutschland ausgehende Reformation eröffnete einen Wettstreit der Konfessionen und war grundlegend für den Geist der Meinungsfreiheit, der in den folgenden Jahrhunderten das europäische Innovations- und Wirtschaftswunder möglich machte. Vielleicht war die Reformation Deutschlands größter Beitrag zu diesem Wunder.

Erstmals erschienen bei Wirtschaftliche Freiheit.

Photo: Jorge Zapata from Unsplash (CCO)

Die Vermögensteuer ist bei Linken sehr beliebt. Sie glauben, dass es in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem einen Ausgleich braucht, um die wachsende Ungleichheit zu beseitigen. Sie glauben, dass es in einer auf Privateigentum basierenden Marktwirtschaft systembedingt sei, dass Reiche immer reicher werden und Arme immer ärmer. Daran ist so ziemlich alles falsch.

Das wichtigste Argument ist jenes, das Johannes Paul II 1991 in seiner Enzyklika „Centesimus annus“ genannt hat: „Die Wirtschaft, insbesondere die Marktwirtschaft, kann sich nicht in einem institutionellen, rechtlichen und politischen Leerraum abspielen. Im Gegenteil, sie setzt die Sicherheit der individuellen Freiheit und des Eigentums sowie eine stabile Währung und leistungsfähige öffentliche Dienste voraus. Hauptaufgabe des Staates ist es darum, diese Sicherheit zu garantieren, so dass der, der arbeitet und produziert, die Früchte seiner Arbeit genießen kann und sich angespornt fühlt, seine Arbeit effizient und redlich zu vollbringen.“ Der Staat muss Freiheit, Recht und Eigentum schützen. Besteuert der Staat die Substanz von Unternehmen und Vermögenden, dann zerstört er eine zentrale Funktion der Marktwirtschaft: dass sich der Mensch „angespornt fühlt, seine Arbeit effizient und redlich zu vollbringen“.

Es ist ja auch nicht ausgemacht, dass jemand der Vermögen hat, daraus auch Erträge erwirtschaftet. Viele Vermögen werfen nichts ab. Wer im eigenen Haus wohnt, weiß das. Auch die Kirchen kennen das. Sie müssen Denkmäler wie Kirchen unterhalten, die keinen Ertrag abwerfen. Würde die Vermögensteuer wieder eingeführt, dann würden viele Normalverdiener plötzlich zur Kasse gebeten. Insbesondere Beamte und Angestellte träfe dies hart, denn ihre Pensions-, Betriebs- und Rentenansprüche müssten dann bewertet und kapitalisiert werden. Je niedriger der Kapitalmarktzins ist, desto höher sind die abgezinsten Kapitalwerte. In Zeiten der Null- und Negativzinsen wird dadurch jeder 30jährige mittlere Beamte zu einem Vermögensmillionär. Die Vermögensteuer würde daher die Mitte der Gesellschaft treffen.

Gleichzeitig würde es den „Ansporn“ nehmen, selbst vorzusorgen. Ein immer größerer Einfluss des Staates wäre die Folge. Es würde auch die Rolle der Familie weiter aushöhlen. Ihre Funktion, Gewohnheiten und Traditionen an nachfolgende Generationen weiterzugeben, ist mit der Weitergabe materieller Güter eng verbunden.

Wachsende Ungleichheit entsteht hingegen durch den Staat. Markteintrittsbarrieren für junge Unternehmen, prohibitive Regulierung zu Gunsten der Großen und das Herausboxen von Banken und Unternehmen, nur weil sie „systemrelevant“ erscheinen, schützt die Eigentümer vor dem Totalverlust. Doch in einer Marktwirtschaft gehören die Chancen einer Investition genauso dazu wie die Risiken, alles zu verlieren.

Und auch die Vernichtung des Zinses durch die Notenbanken führt zu wachsender Ungleichheit. Wenn der Zins keinen Preis mehr hat, sind Investitionen in Vermögensgüter wie Aktien und Immobilien viel leichter und viel größer möglich. Beides sind Anlageformen, insbesondere wenn Sie Kreditfinanzierung sind, die eher Vermögenden vorbehalten sind. Dagegen haben Arbeitnehmereinkommen nicht diese Wachstumsdynamik. Arbeitnehmer werden sogar staatlich über die betriebliche und private Altersvorsorge in unrentierliche Anlageformen gedrängt. Lebensversicherung und Pensionskassen werden regulatorische genötigt, in Staatsanleihen zu investieren, die keinen oder nur einen geringen Ertrag abwerfen. Die Kluft zwischen Arm und Reich steigt daher an – als Konsequenz staatlicher Eingriffe.

Daher gilt das was Johannes Paul II ebenfalls in seiner Enzyklika „Centesimus annus“ sagte: „Sowohl auf nationaler Ebene der einzelnen Nationen wie auch auf jeder der internationalen Beziehungen scheint der freie Markt das wirksamste Instrument für die Anlage der Ressourcen und für die beste Befriedigung der Bedürfnisse zu sein.“

Erstmals erschienen bei der Tagespost am 27.09.2019.