Photo: jalbertgagnier from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Das Brexit-Votum und das derzeitige Nachspiel zeigen deutlich: die Globalisierung ist bedroht. Und zwar gleich von zwei Seiten: von einer verängstigten Bevölkerung wie von protektionistischen und merkantilistischen Politikern, gerade auch in der EU-Führungsebene.

Pro-Brexit und Anti-Globalisierung

Eines der wichtigsten Umfrage-Institute im Vereinigten Königreich, Lord Ashcroft Polls, hat eine in die Tiefe gehende Nachwahl-Befragung durchgeführt. (NB: Lord Ashcroft selbst ist ein Befürworter des Brexit.) Die Ergebnisse sind interessant: So nannten nur 6% der Brexit-Befürworter als Hauptgrund ihrer Entscheidung: „Im Bezug auf Handel und Wirtschaft würde Großbritannien mehr davon profitieren, außerhalb der EU zu sein“. Die anderen nannten die Unabsehbarkeit der Entwicklung der EU (13%), Kontrolle über die Grenzen (33%) und das Prinzip, dass Entscheidungen, die Großbritannien betreffen, auch dort gefällt werden sollten (49%).

Noch spannender wird es bei der Frage, wie Menschen, die sich zu bestimmten Phänomenen positiv oder negativ verhalten, abgestimmt haben. Gefragt wurde nach Multikulturalismus, gesellschaftlichem Liberalismus, Feminismus, der Öko-Bewegung, Globalisierung, Internet, Kapitalismus und Migration. Von denen, die Globalisierung insgesamt negativ einschätzen, stimmten 31% gegen den Brexit und 69% dafür. Diejenigen, die Globalisierung für positiv halten, stimmten zu 62% für einen Verbleib und zu 38% für den Austritt.

Globalisierungsgegner: links, rechts und in Brüssel

Die Globalisierung ist derzeit weltweit unter Beschuss. Schon seit mehr als einem Jahrzehnt haben Linke das Thema für sich entdeckt und sie in sonderbarem Kontrast zu ihrer alten Tradition des Internationalismus für alle Übel der Welt verantwortlich gemacht. Spätestens seitdem offenbar wird, dass in einer zunehmend globalisierten Welt nicht nur Güter, sondern auch Menschen beweglicher werden, haben auch Rechte das Phänomen als Gegner ausgemacht. Während die eine Seite eine Tobin-Steuer fordert, geloben auf der anderen Seite Politiker wie Trump ökonomische Unabhängigkeit. In Großbritannien, dem Ursprungsland des Freihandels, findet man in den Supermärkten inzwischen gigantische UK-Fahnen auf unzähligen Produkten, die zeigen sollen, dass der Joghurt, die Forelle und im Zweifel auch noch die Papaya aus Großbritannien stammen.

Mit dem Konzept der vier Grundfreiheiten ist die EU durchaus ein Motor der Globalisierung gewesen. Gleichzeitig ist sie aber auch immer wieder der Gefahr erlegen, die Globalisierung zu bremsen. Das prominenteste Beispiel dafür ist wohl die Agrarpolitik. Ein anderes Beispiel wäre das Thema Mindestlohn, der die Arbeitsmärkte selbst innerhalb der EU abschottet. Wäre ein solcher Protektionismus nicht eigentlich ein Fall für die Binnenmarkt-Kommissarin? Und nun auch noch die hemmungslose Post-Brexit-Rhetorik von Juncker, Schulz und Konsorten. Sie zielt nicht nur darauf, die Briten verächtlich zu machen, sondern insbesondere auch auf einen europäischen Korpsgeist. In diesem „wir Europäer“ steckt auch sehr viel „die anderen“ – seit neuestem nicht mehr nur Chinesen, Brasilianer, die USA und bisweilen die Schweiz, sondern nun auch das Vereinigte Königreich. Weltoffenheit ja – aber nur gegenüber denen, die wohlanständig kooperieren …

Es droht eine neue Ära des Isolationismus

Es ist vor allem der Globalisierung zu verdanken, dass die bitterste Armut weltweit zurückgegangen ist und gleichzeitig das Leben in unseren Breitengraden mit eindrucksvoller Geschwindigkeit immer besser wird. Weltweiter Wohlstand und wachsende Freiheit sind die Ergebnisse eines Zeitalters, in dem Grenzen gefallen sind: von Zollschranken bis zu Informationsschranken. Es sind wahrhaft bittere Zeiten, wenn Globalisierung selbst in ihrem Mutterland auf der Insel im Kanal einen zunehmend schweren Stand hat. Es droht eine neue Ära des Isolationismus: In den USA überbieten sich Clinton und Trump mit protektionistischen Vorschlägen. In Ostasien spielen wichtige Akteure mit dem Feuer des Wirtschaftskrieges. Und in der EU wollen die einen sich jetzt gegenüber Großbritannien und der Schweiz endlich mal hart zeigen, während die anderen die Abkommen mit den USA und Kanada zu Fall bringen wollen.

Diese Tendenzen müssen aufgehalten werden! Dazu gehört, dass alle an den Brexit-Verhandlungen Beteiligten so viele Freiheiten wie möglich zu bewahren versuchen. Die britischen Politiker müssen der Versuchung einer Abschottung widerstehen – und vielleicht noch viel mehr die EU der Versuchung, eine Strafaktion gegen Unbotmäßige durchzuführen. Vor allem aber müssen Vorurteile und Ängste auf kluge Weise abgebaut werden. Jeder Intellektuelle, Journalist und Politiker, der politischen und wirtschaftlichen Isolationismus (und die damit einhergehenden massiven politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verwerfungen) vermeiden möchte, ist in der Verantwortung. Wir müssen Globalisierung neu erklären, um zu verhindern, dass all das Positive, das wir in den vergangenen Jahrzehnten erreicht haben, in Gefahr gerät.

Friedrich August von Hayeks Beobachtung und Warnung aus dem Jahr 1949 ist heute wieder hochaktuell:

Nachdem die wesentlichen Forderungen des liberalen Programms erfüllt waren, wandten sich die liberalen Denker vorwiegend Einzelproblemen zu und vernachlässigten die Fortbildung der philosophischen Grundlagen; der Liberalismus hörte damit auf, ein lebendiges Problem zu sein, das zu geistiger Arbeit reizte. … Wenn es uns nicht gelingt, die Voraussetzungen einer freien gesellschaftlichen Ordnung wieder zu einer brennenden geistigen Frage und ihre Lösung zu einer Aufgabe zu machen, die den Scharfsinn und die Erfindungsgabe unserer besten Köpfe herausfordert, dann sind die Aussichten für den Fortbestand der Freiheit tatsächlich gering.

3 Kommentare
  1. Josh Pauli
    Josh Pauli sagte:

    In Berlin gibt es einen arabischen Fußballverein, dessen offizielles Wappen eine komplett in die Farben der palästinensischen Flagge getünchte Karte Israels ist: https://www.facebook.com/fcalkauthar.berlin/

    Wenn das die Art von Migrationsphänomenen ist, die uns die Globalisierung einbringt, kann man es den Briten schlecht verübeln, wenn Sie sich – wie die im Artikel zitierte Umfrage zeigt – wieder mehr Kontrolle über die eigenen Grenzen wünschen und sich damit auch ein Stück weit gegen eine globalisierte Welt wenden. Wobei, wenn wir ehrlich sind, im Grunde augenscheinlich ist, dass die meisten, die sich für die Kontrolle der britischen Grenzen stark machen, nicht die Globalisierung per se ablehnen, sondern ganz konkret ungesteuerte Masseneinwanderung aus islamischen Ländern fürchten. Und das zu Recht, denn die bedroht unsere freiheitliche Grundordnung in vielen Vierteln europäischer Großstädte schon jetzt.

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  2. Alfred Reimann
    Alfred Reimann sagte:

    Richtig, die freiheitliche Idee muss weiterentwickelt werden, aber wer tut dies außer mir?
    Wer fragt mich, ob er mir helfen kann, die angedachten Perspektiven zu entwickeln oder vielleicht sogar zu veröffentlichen?
    Sonntagsreden nichts als Sonntagsreden, leider!

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  3. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Es gibt zahlreiche Baustellen, an denen wir arbeiten müssten und mit denen wir noch nicht begonnen haben. Die globale globale Freihandelsidee ist zwar richtig, aber hier stellt sich die Frage, wer davon zurzeit profitiert.

    Damit wir einen ersten Schritt tun, sollten unsere „großen“ Parteien wie CDU und SPD erstmal damit aufhören die Interessen der „““Wirtschaft“““, aber nahezu gar keine Bürgerinteressen zu vertreten.

    Das Interesse der „““Wirtschaft“““ ist nunmal Freihandel, während das Bürgerinteresse Gerechtigkeit ist. Hier gibt es also zwei gegenläufige Ziele.

    Gegenläufige Ziele gibt es in folgenden Bereichen:

    – Rüstungsexporte
    (deutsches Interesse am Außenhandel versus Friedens-Interesse am Verzicht auf Rüstungsexporte)

    – Energiesubventionen
    (deutsches Interesse am Wettbewerbsvorteil versus Interesse an einer globalen Energiewende)

    – „““starke Wirtschaft“““
    (deutsches Interesse der globalen Wirtschaft unbegrenzt Standortvorteile zu liefern versus seltene Gerechtigkeitsschieflage – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene)

    Der Chef Ökonom des BMF will jetzt also Wirtschaftswachstum, eine „starke Wirtschaft“, um möglicherweise auf diese Weise die fragwürdige Nähe der CDU zur Wirtschaft sehr bequem zu erklären.

    In Wirklichkeit grenzt es aber schon an Abgeordnetenbestechung, wenn sich die „““Wirtschaft“““ zum leichteren Erreichen ihrer Individualziele die politischen Parteien und somit die Regierungen „kauft“.

    Die CDU lässt es gerne so aussehen, als sei die Politiknähe zur „““Wirtschaft“““ etwas Gutes, weil man es sich doch denken müsste, dass Wirtschaft doch etwas Gutes sein müsse. Denn schließlich müsse doch jedem Bürger am Wohlstand „für alle“ gelegen sein. Tatsächlich zielen die Parteispenden in Millionenhöhe an vor allem die Parteien CDU, SPD und FDP auf einen „““Wohlstand für andere“““ ab.

    Folgender Spruch ging durch die sozialen Netzwerke:

    „Die Deutschen scheinen ein tragisches Volk zu sein: Sie arbeiten hart, nehmen Gehaltseinbußen hin, um Arbeitsplatz und Export zu sichern, verdienen gut, sparen viel – und werden doch immer ärmer. Das kommt davon, wenn man sich auf Staat und Politiker verlässt, die zwar üppige Sozialleistungen versprechen, aber doch nur trocken Brot liefern – bestenfalls.

    Wie in einem Taumel verteilen die Verhandlungsrunden der großen Koalition immer neue Wohltaten, die sich bei genauerem Hinschauen dummerweise in Belastungen verkehren – eine groß angelegte
    Verarmungspolitik nimmt ihren Lauf“.

    Thomas Piketty macht jedenfalls den deutschen Exportnationalismus für den Brexit verantwortlich.

    Deutschland hat in den Jahrzehnten seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland ständig eine expansive Wirtschaftspolitik gefahren.

    Mit guten Abschreibungsmöglichkeiten wurden der „““Wirtschaft“““ Standortvorteile angeboten.
    Jetzt haben sich bei uns zwar viele Firmen niedergelassen, aber dies hat zurzeit den Nachteil, dass wir die niedrigsten Reallöhne in der Eurozone haben.

    Die starke Wirtschaft der Deutschen scheint sich jetzt langfristig als Boomerang zu erweisen, die die Deutschen wieder einholt. Die niedrigsten Reallöhne der Deutschen in der Eurozone sorgen jetzt auch dafür, dass in Deutschland spätestens jeder Zweite im Jahr 2030 mit Altersarmut rechnen muss.

    Diese Studie geht der Einfachheit halber davon aus, dass das globale Finanz- und Wirtschaftssystem bis zu diesem Zeitpunkt Bestand haben wird. Dies ist jedoch eine irrige Annahme. Der Gaul unseres Staates ist in Wirklichkeit längst tot und wird stattdessen durch die schlaue Kanzlerin künstlich am Leben gehalten.

    Jedenfalls haben wir zurzeit eine Situation, wo Politiker es bequem glauben, dass es doch offensichtlich sein müsse, dass der Bürger nur mit normaler Arbeit ein Einkommen erzielen müsse.

    Auf diese Weise müsse das dumme Volk es doch begreifen, dass Politiker, Banken und Wirtschaften ein enges Bündnis eingehen müssten, damit doch alle endlich Arbeit haben.

    Wir sehen es jedenfalls beim Brexit, dass die Entscheidung der Briten diesbezüglich nicht besonders eindeutig ausgefallen war. Dies ist ein Hinweis darauf, dass kaum jemand es genau weiß, ob es die richtige Entscheidung war, weil sie sowohl zahlreiche Vorteile als auch zahlreiche Nachteile bringt.

    Als Brite hätte ich ebenfalls für den Brexit votiert, weil die deutsche Regierung pausenlos Scheidungsgründe liefert und die Einsicht der Deutschen in seltenem Maße fehlt, dass es so nicht weitergehen kann. Zu vielen Deutschen scheint es zurzeit noch viel zu gut zu gehen.

    Wenn aber unsere Abgeordneten es doch ohnehin nicht merken, dass es widerlich ist, dass man sich selbst die eigenen Diäten maßlos erhöht, während fast 40 % der Deutschen prekär arbeiten.

    Wenn es die deutsche Regierung ohnehin nicht merkt, dass Rüstungsexporte in Länder wie Saudi Arabien in seltenem Maße unchristlich sind? Und wenn Sigmar Gabriel es nicht einsieht, dass er die Exporte hätte verhindern können? Es würde sich doch schließlich beim Wahlvolk nicht gut machen, wenn man als Mörder-Partei irgendwelche Wahlen gewinnen will.

    Und wenn Sigmar Gabriel es zudem ohnehin nicht begreift, dass das globale Interesse an einer Energiewende Vorrang vor nationalen Interessen haben muss?
    Seine Lehrerin wollte ihn damals zur Sonderschule schicken, aber jetzt ist er doch immerhin Wirtschaftsminister geworden.

    Obwohl nur ein Drittel der SPD-Basis ihn für den richtigen Kanzlerkandidaten hält, will er jetzt trotzdem Kanzler werden. Jedenfalls scheint die Wirtschaft ihr Ziel erreicht zu haben. Es scheint zurzeit ausgeschlossen zu sein, dass jemand anderes die CDU bei der nächsten Wahl schlagen könne.

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